Leitfaden „Gesundheitsfördernde Kita“: Schlechte Note wegen Einseitigkeit

Der neue Praxis-Leitfaden: „Schritt für Schritt zur gesundheitsfördernden Kita“, der Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (pep) kann ab sofort downgeloaded und bestellt werden. Dieser Leitfaden erhebt mit dem gewählten Titel den allgemeinen Anspruch, alle relevanten Aspekte der Gesundheitsförderung im Sinne von relevanten Rahmenbedingungen zu behandeln. Dieser Eindruck erhärtet sich, wenn dort u.a. von „ganzheitlicher“ Gesundheitsförderung die Rede ist.

Ich gebe zu, ich habe das Dokument nur überflogen, aber was ich gesucht habe, ist laut Inhaltsverzeichnis und Einleitung die 3. Säule in der Gesundheitsförderung und ab Seite 18 zu finden. Dort soll es neben Bewegung auch um Entspannung gehen. Bei meiner kurzen Durchsicht des mehr als 40 Seiten umfassenden PDF-Dokuments wird schnell klar, wie es um diesen wie es dort heißt 3. Schwerpunkt der Gesundheitsförderung bestellt ist, der ganz offensichtlich nicht zur Kernkompetenz des Vereins gehört. Eine einzige Seite, die Seite 23 wird hier dem Thema Entspannung, als einzigem Aspekt aus dem großen Komplex der Psychischen Gesundheit gewidmet. Kein anderes der vorgestellten Themen in dieser Broschüre, deren praktische Umsetzung eine Kita immerhin hypothetisch zur „gesundheitsfördernden Kita“ machen soll, behandelt gezielt die Möglichkeiten gesundheitsförderlich auf die Kinderpsyche einzuwirken. Lediglich beiläufig erwähnt findet man der Psychischen Gesundheit zugehörige Inhalte. Es ist, als gehöre das Thema Psyche nicht wirklich oder zumindest nicht als eigenständiges Thema in die Kita. Die Gefahr, dass zukünftige sogenannte „gesundheitsfördernde Kitas“ diese sicher unfreiwillig transportierte Ausblendung der Bedeutung von Psychischer Gesundheit unreflektiert übernehmen und sich auch weitere Fachleute, Eltern und Elternvertreter daran orientieren, kann als wahrscheinlich angenommen werden. Die Chance ein so dringend nötiges Bewusstsein für den Bereich der Psychischen Gesundheit zu erreichen wird somit in Kitas, die eigentlich das Potential und den Willen zur ganzheitlichen Gesundheitsvorsorge haben, wieder einmal vertan.

Ich vermute keine böse Absicht hinter diesem gravierenden Defizit in dieser und anderen Publikationen des PEP. Vielmehr wird es wohl so gewesen sein: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Zur Erinnerung: 20% unserer Kinder gelten als verhaltensauffällig (Quelle: Deutsche Liga für das Kind). Der mehr als offensichtlich bestehende dringende Handlungsbedarf im Bereich der psychischen Gesundheit darf bei dem Grundgedanken und der Konzeption einer ganzheitlichen „gesundheitsförderlichen Kita“ nicht ausgeblendet werden! Es muss bei diesem Anspruch gleichermaßen um Körper UND Seele gehen!

Liebe Verantwortlichen des PEP, liebe Fachleute im Bereich Bewegung und Ernährung, bitte überdenken Sie Ihre gängige Praxis in Ihren Publikationen und in Ihrer Außendarstellung den Anschein zu erwecken, Sie würden alle bedeutsamen Ansatzpunkte für eine „gesundheitsförderliche Kita“ bzw. eine gesunde Entwicklung allgemein gleichermaßen betrachten. Noch mehr würde ich es jedoch begrüßen, Sie würden den Rat verschiedener Professionen mit spezieller Fachkompetenz im Bereich Psychische Gesundheit in der Frühen Kindheit einmal in Anspruch nehmen und dies in Ihre Arbeit mit einbeziehen, um damit Ihrem offensichtlichen Anspruch auf Ganzheitlichkeit und damit auch auf Glaubwürdigkeit tatsächlich gerecht werden zu können.

3 Gedanken zu „Leitfaden „Gesundheitsfördernde Kita“: Schlechte Note wegen Einseitigkeit

  1. „Es muss bei diesem Anspruch gleichermaßen um Körper UND Seele gehen!“

    Dem Stimme ich vollkommen zu. Zudem bedingt beides einander und eine Förderung des einen kann eine Verbesserung des anderen herbeiführen. Ignoriert man aber einen Aspekt kann das dazu führen, dass beim Problemen nur die Symptome und nicht die Ursache „behandelt“.

  2. Otto Kernberg: „Psychisch auffällige Menschen leiden oft an grundsätzlichen Persönlichkeitsstörungen – da helfen keine Techniken, die an der Oberfläche ansetzen. Vielen Patienten mit einer Essstörung bringt es zum Beispiel gar nichts, einen anderen Umgang mit Nahrung einzuüben, weil das die Wurzeln des Übels nicht beseitigt. Denn die sind tief in die Psyche eingegraben und durchdringen alle Lebensbereiche. Persönlichkeitsgestörte Patienten können nicht einfach mal eben eine Verhaltensänderung lernen. Sie brauchen eine Therapie der gesamten Person.“

  3. „Gerade weil vielen Kinder und Jugendlichen nicht bewusst ist, was sie in Stress versetzt, spüren sie ein diffuses Unbehagen, was sie – ganz im Sinne einer Selbstmedikation – dann oft so lösen, dass sie vermehrt zum Essen von Süßigkeiten greifen oder zu Alkohol oder Zigaretten. Subjektiv wird wahrgenommen, dass Essen, Trinken oder Rauchen die Spannung löst und damit hat die Sucht ihren Haken ausgeworfen.“

    (…) ebenso fatal wirken aber auch die inneren Stressoren, die subjektiven Bewertungen. Kinder und Jugendliche entwickeln Versagensängste, Selbstabwertungen und Befürchtungen, die sie diffus als Unwohlsein wahrnehmen, deren Opfer sie werden. Wie schon erwähnt suchen sie dann Auswege z.B. mit Vermeidungsstrategien, die sich aber langfristig als zusätzliche Stressoren entpuppen…

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