Kurse für psychische Gesundheit

Online-Kurs & Präsenz-Kurs möglich

Erste Hilfe leisten bei psychischen Problemen: Ersthelfer*innen gesucht!
„Ich glaube, mit ihm stimmt etwas nicht.“ Häufig haben wir ein gutes Gespür dafür, wenn es einem Mitmenschen nicht gut geht oder er sich ungewöhnlich verhält. Oft ist dieses Gefühl leider begründet. Mehr als 40 Prozent der Deutschen erleben mindestens einmal im Leben eine behandlungsbedürftige psychische Störung. Damit kennen fast alle Menschen in ihrem persönlichen Umfeld Personen, die psychische Störungen haben oder in der Vergangenheit darunter litten. Doch meist sind sie unsicher, wie sie am besten auf Betroffene zugehen und Unterstützung anbieten können.

Inhalte der MHFA Ersthelfer-Kurse
In den MHFA Ersthelfer-Kursen lernen Laien, wie sie frühzeitig psychische Probleme und Krisen bei Angehörigen, Freundinnen und Kolleginnen erkennen und ansprechen sowie konkrete Hilfestellungen geben. Denn jeder kann MHFA Ersthelfender werden. Die nächsten Termine für MHFA Ersthelfer-Kursen können Sie direkt bei mir erfragen: anke.weismantel[at]reha-psych.de

Der MHFA Ersthelfer-Kurs ist ein 12-Stunden-Kurs für Erwachsene, die den Wunsch haben, Betroffene zu unterstützen. Die Kurse werden von geschultem Fachpersonal – sogenannten Instruktorinnen – durchgeführt. Zunächst erfolgt die Vermittlung von Basiswissen zu psychischen Störungen. Daran anknüpfend lernen die Ersthelfenden zu entscheiden, ob es sich in der jeweiligen Situation um eine akute Krise handelt und sofortige professionelle Hilfe erforderlich ist. Erste-Hilfe-Maßnahmen werden durch praktische Übungen mit Gesprächstechniken und Rollenspielen verfestigt. Teilnehmende lernen darüber hinaus, frühzeitig Störungen zu erkennen, Zugang zu Betroffenen zu finden und dabei zu helfen, erfolgreich eine psychische Krise zu bewältigen. Denn je früher Betroffene professionelle Hilfe erhalten, desto höher sind die Chancen auf Gesundung. Zudem erfahren Ersthelfende, wie sie gezielt unterstützen, informieren und weitere Maßnahmen einleiten können. Schließlich erhalten Kursteilnehmerinnen konkrete Informationen über lokale und deutschlandweite Hilfsangebote und werden darin geschult, Betroffene zu professioneller Hilfe zu ermutigen.

Ziele der MHFA Ersthelfer-Kurse
Der MHFA Ersthelfer-Kurs für psychische Gesundheit verbessert das Wissen über psychische Gesundheit, vermindert stigmatisierendes Verhalten, steigert das Vertrauen in die eigenen Helferkompetenzen und stärkt darüber hinaus die eigene psychische Gesundheit. Nicht zuletzt können MHFA Ersthelfer-Kurse dazu beitragen, Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Störungen abzubauen. Ersthelfenden wird ein neuer Zugang vermittelt, sie können die Probleme der Betroffenen besser einordnen und – ähnlich wie bei medizinischen Notfällen – gesundheitsfördernde und sogar lebensrettende Maßnahmen ergreifen.

Entstehung und Hintergrund der MHFA Ersthelfer-Kurse
MHFA Ersthelfer ist das deutsche Pendant von Mental Health First Aid (MHFA) – einem globalen, innovativen Programm, das im Jahr 2000 in Australien nach dem erfolgreichen Vorbild für Erste Hilfe für körperliche Erkrankungen entstanden ist. MHFA wurde von professionellen Expertinnen und Betroffenen gemeinsam entwickelt und ist bereits in 24 Ländern aktiv verbreitet. In Deutschland wurde MHFA Ersthelfer 2019 am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim mit Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung GmbH ins Leben gerufen. Aktuell arbeitet MHFA Ersthelfer in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung daran, ein Netzwerk an Instruktorinnen für die deutschlandweite Bekanntmachung aufzubauen.

Es gibt weltweit bereits über vier Millionen Ersthelfer*innen für psychische Gesundheit – werden Sie die oder der Nächste und kontaktieren Sie mich:
anke.weismantel[at]reha-psych.de

Kommentar zur Novellierung des ThürKitaG

Es handelt sich bei diesem Text um die leicht abgeänderte Version des Diskussionsbeitrages, den ich am 13.08.2017 im Diskussionsform des Thüringer Landtages eingestellt habe. Das Forum ist aktuell (17.08.17) nicht öffentlich einsehbar, so dass ich den Text hier zur Verfügung stelle.

Entwicklungsrisiken für Thüringer Kinder

In den „Informationen zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung zum Thüringer Gesetz über die Neuregelung der Kindertagesbetreuung“ werden Entlastungen bzw. Verbesserungen für Eltern von Vorschülern, für die Kita-Leitung sowie für den Elternbeirat benannt. Bereits hier offenbart sich ein gewichtiger Anlass für Kritik: Es sind keinerlei Verbesserungen der tatsächlichen Betreuungssituation unserer Kinder im Kita-Alltag vorgesehen.

Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK, gültige Rechtsnorm in Deutschland), fordert in Art. 3 Abs.1: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Im Art. 24 Abs. 2 EU-Grundrechtscharta wird ebenso festgelegt „(2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Die tägliche Betreuungsrealität in Thüringer Kitas geht zum Teil mit erheblichen Entwicklungsrisiken für unsere Kinder einher, so dass gerade hier dringender Handlungsbedarf besteht. Dieses Postulat kann ohne Weiteres fachlich fundiert untermauert werden und ich gehe im Weiteren auch exemplarisch auf einzelne Aspekte hierzu ein.

Vor dem Hintergrund des oben genannten gültigen Rechts der UN-KRK und der Realität in den Thüringer Kitas halte ich den vorliegenden Gesetzesentwurf für inakzeptabel.

Expertenkonsens über maßgebliche Qualitätsfaktoren und Entwicklungsrisiken

Aufgrund der in Thüringen derzeit gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen (Strukturqualität) kann z.B. systembedingt der wichtigste Qualitätsfaktor nur unzureichend in der Praxis umgesetzt werden. Es handelt sich dabei um eine an den Grundbedürfnissen des Kindes orientierte Beziehungsgestaltung. Im Falle einer ungünstigen Beziehungsgestaltung kann diese leicht selbst zu einem bedeutsamen Risikofaktor für die kindliche Entwicklung werden.
Unter den gegebenen Bedingungen werden selbst hoch motivierte, engagierte und sehr gut ausgebildete Fachkräfte kaum die geforderte Qualität von Beziehungsgestaltung in der notwendigen Kontinuität und für die Menge der ihnen anvertrauten Kinder leisten können (vgl. „Wache Säuglinge und Kinder in den ersten beiden Lebensjahren beanspruchen 40 % der Betreuungskapazität einer erwachsenen Bezugsperson, Kinder im dritten Lebensjahr 25 % und Kinder im vierten bis sechsten Lebensjahr 20 %.“ Quelle: GAIMH-Empfehlungen, „Ein Platz allein genügt nicht – Beste Qualität für Kleinkinder…“, Seite 20) Hinzu kommt all zu oft die Inkaufnahme eigener gesundheitlicher Gefährdung, da Fachkräfte die Mangelsituation durchaus wahrnehmen und oft fortwährend auszugleichen versuchen (Burnout etc.).

Thüringen ist also vergleichsweise schlecht aufgestellt, wenn man sich exemplarisch den Einflussfaktor Fachkraft-Kind-Relation in der gelebten Praxis anschaut. Ich vergleiche dabei nicht wie oft üblich mit denjenigen ostdeutschen Bundesländern, die noch schlechter aufgestellt sind und blende Westdeutschland aus, sondern vergleiche mit den empfohlenen Mindeststandards für gute Qualität – im Übrigen der einzig zulässige Vergleich wie ich meine (Quellen: NUBBEK, Bertelsmann; Deutsche Liga für das Kind usw.).

Tatsächlich gibt es einen breiten Konsens unter Experten über Qualitätsstandards, die nicht unterschritten werden dürfen. Die sogenannte Strukturqualität ist hierbei eine zwingende VOR-Bedingung guter Betreuung. Am Ende trägt diese maßgeblich dazu bei, dass Entwicklungs- und Bildungschancen erhöht und Risiken gemindert werden können. Natürlich würde mit einer verbesserten Fachkraft-Kind-Relation die Qualität nicht überall automatisch besser. Den entschiedenen Willen zu mehr und gut ausgebildetem Personal sowie dem Kindesalter angemessenen Gruppengrößen im Gesetz zu verankern, würde aber bereits einen Raum für Hoffnung, Entwicklungspotenzial und die prinzipielle Erreichbarkeit von guter Qualität in Kitas eröffnen. Eine Gesetzesnovellierung muss sich somit konsequent an den maßgeblichen Faktoren für Betreuungsqualität orientieren, will man die Schlagworte Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit für Thüringens Familienpolitik beanspruchen.

Um meine Darstellungen für eine möglichst breite Leserschaft glaubhaft zu untermauern, verweise ich für einen Überblick zum Thema Betreuungsqualität auf das Positionspapier der Deutschen Liga für das Kind „Gute Qualität in Krippe und Kindertagespflege“ Hier werden explizit die besonders sensiblen und bedeutsamsten ersten Lebensjahre thematisiert. Dieser Expertenkonsens wird von über 40 (!) renommierten und namhaften deutschsprachigen Experten unterstützt. Zitat aus dem Positionspapier: „Krippen und Kindertagespflegestellen allerdings, die anerkannten Mindestanforderungen an Qualität nicht genügen, können für die dort betreuten Kinder ein erhebliches Entwicklungsrisiko darstellen.“. Die Mindestanforderungen hinsichtlich Personalausstattung und Gruppengröße für Kinder bis zum 3. Geburtstag finden Sie unter B: Strukturqualität. Kein anderes Orientierungspapier findet meinem Kenntnisstand nach eine solch breite Zustimmung und stellt die Qualitätsfaktoren so gut im Überblick dar.

2-3jährige Kinder

Um auf ein bedeutsames Problem im vorliegenden Gesetzesentwurf einzugehen, möchte ich aus §16 Personalausstattung (5) zitieren:

„Sofern es die psychische, physische und geistige Entwicklung eines Kindes in der Altersgruppe vom vollendeten zweiten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erlaubt, kann seine Betreuung mit Zustimmung der Eltern in einer altersgemischten Gruppe von Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt erfolgen.“

Ein ganz ähnlicher Absatz findet sich in der derzeit gültigen Kita-Verordnung (Zitat siehe weiter unten).

Beispielsweise sieht die Realität der 2jährigen Erfurter Kinder aufgrund dessen aktuell so aus, dass vermutlich über 95% der Kinder ab dem 2. Geburtstag in Gruppen betreut werden, die eigentlich für 3jährige Kinder bis zum Schuleintritt konzipiert sind (Kindergarten statt Krippe/Tagespflege). Hierdurch wird auf der einen Seite der gesetzlich festgelegte Personalschlüssel für Kinder zwischen 2-3 Jahren systembedingt unterlaufen. Auf der anderen Seite gibt es in der Praxis keinerlei überprüfbare Kriterien anhand derer die psychische, physische und geistige Entwicklung der 2jährigen Kinder eingeschätzt wird. Vielmehr werden durch die gängige Praxis Kinder ab dem 2. Geburtstag automatisch (Vergabe der Kita-Plätze) in Gruppen für Kinder ab eigentlich 3 Jahren überführt. Dies halte ich aus entwicklungspsychologischer Perspektive für skandalös, da diese Praxis allen Empfehlungen und Erkenntnissen zur Frühen Kindheit widerspricht (z.B.: GAIMH-Empfehlungen).
Ich möchte diese Einschätzung durch ein Experten-Statement untermauern. Im Jahr 2016 habe ich zu diesem Passus der Thüringer Kita-Verordnung eine Emailkorrespondenz mit dem renommierten Hirnforscher, Psychiater, Psychotherapeut und Bestsellerautor Prof. Dr. med. Joachim Bauer geführt, die ich Ihnen auch aufgrund seiner Ausführungen zu Kindern unter 2,5 Jahren hier bereitstellen möchte:

>> Sehr geehrte Frau Weismantel, besten Dank für Ihre Zeilen.

Die Zeit nach dem zweiten Geburtstag und vor Vollendung des dritten Lebensjahres ist eine Übergangszeit: Die Kinder sind hier zwar kleingruppenfähig, brauchen aber nach wie vor zwingend immer wieder eine dyadische* erklärende Ansprache. [*meint 1zu1-Interaktion]

Dem Gesetzestext [Thüringer Kita-Gesetz:]

„In der Regel sind altershomogene Kleinkindgruppen vom ersten Lebensjahr bis zu drei Jahren unter Einsatz der jeweils geltenden Personalschlüssel nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ThürKitaG zu bilden, um eine besondere und intensive Betreuung für die Kinder dieser Altersgruppe zu gewährleisten.“

kann ich so nicht zustimmen. Kinder unter 18 Monaten sind definitiv nicht „Kleinkindgruppen“-fähig. Zwischen dem 18. und 36. Monat kommt es m. E. sehr stark darauf an, dass 1. die Gruppen nicht zu groß sind (maximal 4-6) und dass 2. der Personalschlüssel so gestaltet ist, dass viel dyadisch interagiert werden kann.

„Sofern es der psychische, physische und geistige Entwicklungsstand eines Kindes in der Altersgruppe von zwei bis drei Jahren erlaubt, kann seine Betreuung in einer altersgemischten Gruppe von Drei- bis Sechsjährigen erfolgen.“ (aus der Kita-Verordnung)

würde ich zustimmen, wenn Kinder zwischen 24 und 36 Monaten gemeint sein sollten und wenn die Gruppen nicht zu groß sind (siehe oben). Etwa die Hälfte der Kinder werden den geforderten „psychischen, physischen und geistigen Entwicklungsstand“ allerdings in diesem Alter noch nicht haben.

Ich teile Ihre Sorgen.<<

 Zusammenfassung und Empfehlungen

Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, dass wir in Thüringen alleine schon aufgrund der ungünstigen Fachkraft-Kind-Relationen und der ungünstigen Gruppenkonstellationen keine ausreichende Kita-Qualität nach wissenschaftlichem Stand der Forschung erwarten können. Aufgrund des Fachkräftemangels werden wir eine baldige Entspannung der Lage kaum erreichen können. Auch steht es gerade aufgrund der geltenden UN-Kinderrechtskonvention außer Frage, dass die Mängel der Betreuungspraxis im Rahmen der Gesetzesnovellierung ernsthaft in Angriff genommen werden müssen. Eine mögliche Vorgehensweise wäre es, die anerkannten Mindestanforderungen an Qualität im Gesetz als Zielvorgaben zu formulieren und der Wille zu einer Annäherung an dieselben glaubhaft und mit konkret dazu dienenden Maßnahmen zu dokumentieren.

Weiterhin darf die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Entwicklungsrisiken für unsere Kinder nicht weiter unter den Tisch fallen und muss Eingang in die öffentliche Diskussion finden. Hier sehe ich alle Akteure in der Informationspflicht. Die Verantwortung für Erziehung und Schutz des Kindes vor Gefahren und Risiken weist das Grundgesetz den Eltern zu. Auch der vorliegende Gesetzesentwurf nimmt Eltern mehr in die Pflicht (z.B. notwendige Zustimmung der Eltern zur Betreuung von 2jährigen in Kindergartengruppen für Kinder ab 3 Jahren). Aus diesem im Grundgesetz verankerten Erziehungsprimat leitet sich m.E. ab, dass Eltern alle die Betreuung ihres Kindes betreffenden, notwendigen Informationen auch erhalten müssen, um ihrer Pflicht der elterlichen Verantwortung nachkommen zu können. Nur so können Eltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten und im Sinne des Kindeswohls für ihr Kind entscheiden und ggf. darüber hinaus aktiv werden.

Glaubt man bezüglich der 2-3jährigen Kinder Herrn Prof. Bauers Einschätzung, die sich auf den aktuellen Status Quo der Forschung stützt, setzen wir aktuell ca. 50% dieser in Kindergartengruppen betreuten 2jährigen Thüringer Kinder erheblichen Entwicklungsrisiken aus. Dieser unverantwortliche Missstand darf keinesfalls wie angedacht im §16, Abs. (5) verankert werden. Sollte dies doch so geschehen, plädiere ich für die dringende Einführung einer standardmäßigen Überprüfung des individuellen kindlichen Entwicklungsstandes durch dafür qualifizierte Fachkräfte, welche diesen auch dokumentieren und eine angemessene Risikoaufklärung mit den Eltern durchführen.

Die gesetzliche Verankerung eines elterlichen Anspruchs auf fachlich fundierte und adäquate Risikoaufklärung über außerfamiliäre Betreuung wäre nicht nur vor dem Hintergrund des Grundgesetzes und der UN-KRK ethisch verantwortungsvoll, sondern auch vorbildliche und zukunftsweisende Familienpolitik.

Anke Weismantel
Psychologin, Kita-Referentin
Erfurt

 

Bitte unterstützen Sie die Petition zur „Verbesserung des Personalschlüssels in Thüringer Kitas„. Für das Parlament kann das ein entscheidender Impuls sein, um wichtige Grundvoraussetzungen für gute Betreuungsqualität doch noch in das ThürKitaG aufzunehmen.

 

Vortragsabend zum Start wirklich guter frühkindlicher Betreuung

Eltern und Fachkräfte informierten sich zu kindgerechter Eingewöhnung in KiTa und Tagespflege und entdeckten eine gemeinsame Sprache für gelingendes Miteinander

Der erste offene SAFE®-Elternabend finanziert durch die Bundesinitiative Frühe Hilfen, fand am vergangenen Donnerstag im Rathaus am Fischmarkt statt. Mehr als 30 Eltern, ErzieherInnen und Tagesmütter, die sich für das Wohl von kleinen Kindern in der Eingewöhnung und in der Betreuung sowie für frühkindliche Bildung interessierten, füllten die Räumlichkeiten. einladung-elternabend-fisch

Die seltene, weil bunte Zusammenstellung der Teilnehmer, bestehend aus Eltern und Betreuungspersonen, erwies sich als äußerst gewinnbringend und fruchtbar für die Veranstaltung. In keinem anderen Kontext könnten sich Eltern und Fachkräfte so offen, stressfrei auf Augenhöhe und von Mensch zu Mensch begegnen. Durch die referierten Inhalte war es zudem möglich eine gemeinsame Sprache zu finden und damit die verschiedenen Perspektiven und Einsichten auszutauschen und gemeinsam mehr Verständnis und Wertschätzung füreinander zu erlangen. Es wurde konstruktiv und intensiv über gängige Eingewöhnungspraktiken in Erfurt und Umgebung diskutiert und die wissenschaftlich begründeten Bedingungen guter Eingewöhnung mit den in der Praxis gegebenen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen in Thüringen und anderen Ländern abgeglichen.

Das erklärte Ziel der Veranstaltung, nämlich ein basales Verständnis entwicklungspsychologischer Grundprinzipien kindlicher Entwicklung zu vermitteln und deren fundamentale Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung und Bildung bis ins Erwachsenenalter zu verdeutlichen, konnte laut der Rückmeldungen der Teilnehmer voll erreicht werden. Durch die in leicht verständlichen und eingängigen Beispielen und Bildern vermittelte Funktionsweise der Kinderseele, war es insbesondere für die teilnehmenden Eltern möglich, die Notwendigkeit von guter Eingewöhnung und Betreuung nicht nur zu erkennen, sondern selbstbewusst und im Einklang mit dem elterlichen Bauchgefühl auch auf einem theoretisch-fachlichen Niveau einzuschätzen.

Einige Eltern fühlten sich hierdurch so bestärkt, dass vorige Unklarheiten über die Betreuungssituation des eigenen Kindes gänzlich aus dem Weg geräumt werden konnten. So berichtete eine Mutter: „Meine Zweifel haben sich komplett aufgelöst und ich vertraue zukünftig mehr auf mein Bauchgefühl. Es ist wirklich toll, dass das eigene Gefühl von so viel Fachlichkeit gestützt wird!“. Positiv überrascht waren viele Eltern über die eingängigen und logisch nachvollziehbaren Zusammenhänge kindlichen Verhaltens: „Warum erfährt man das nicht viel früher?!“ wollte eine Mutter nach Ende der Veranstaltung wissen.

Auch für die Betreuungspersonen gestaltete sich der Abend als gewinnbringend, da eigene Grundhaltungen noch einmal fachlich untermauert werden konnten und wichtige Eingewöhnungstipps insbesondere auch zur Elternarbeit zu einer Bestärkung der eigenen Position und fachlichen Herangehensweise beitrugen. So meldete eine Tagesmutter zurück: „Es freut mich sehr, dass meine Art Eingewöhnung zu gestalten genau richtig ist und ich das Eltern jetzt noch besser erklären kann. Aber es ist auch erschreckend, was da einige Eltern von woanders berichtet haben. Solche Abende sind wirklich wichtig. Ich hoffe sehr, dass Sie das noch öfter anbieten.“

Die Position, dass derartige Veranstaltungen und vertiefende Angebote regelmäßig angeboten werden sollten, fand bei allen Teilnehmern großen Zuspruch. Einige Teilnehmer wünschten sich diese Abendveranstaltung sogar als Pflichtveranstaltung für alle Eltern und Fachkräfte, damit Kinder nicht mehr unter Verhaltensweisen und Praktiken leiden müssten, die kindgerechter und damit gesunder Entwicklung entgegenwirken. Von den Teilnehmern eingebrachte Einzelbeispiele deuteten darauf hin, dass solche Methoden zum Teil aufgrund mangelnder Kenntnisse vielleicht sogar in der Annahme ihres Erziehungswertes angewendet und propagiert würden. Hier konnten sich die Teilnehmer gegenseitig in ihrer bindungsorientierten Grundhaltung und dem Grundsatz, einer sicheren Bindung immer Vorrang vor anderen Erziehungs- oder Bildungszielen zu geben, bestärken.

Alles in allem kann der erste offene Vortrags- und Diskussionsabend für Eltern und Fachkräfte als sehr gelungen bezeichnet werden. Allerdings zeigte ich auch Verbesserungsbedarf: Zwei Stunden sind für so ein bedeutungsvolles Thema und viele individuelle Fragen einfach viel zu kurz, da waren sich alle Teilnehmer einig. Die anschließende Diskussionszeit von einer weiteren Stunde wurde somit auch voll ausgenutzt.
Der zweite und vorerst letzte Elternvortrag zum Thema kindgerechte Eingewöhnung, Wohlbefinden in der Betreuung und gelingender frühkindlicher Bildung findet am 02.12., wieder ab 18 Uhr im Rathaus am Fischmarkt statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.

Anke Weismantel
Dipl.-Reha-Psych. (FH)
SAFE®-Mentorin

Für die TeilnehmerInnen der beiden Elternabende gibt es hier die wichtigsten Materialien und Links zum Download.

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Fachtag „Verwundete Kinderseelen“ in Gera 2016

Sehr geehrte Teilnehmerinnen,

hier LINK finden Sie in Kürze weiteren Informationen zu meinem Input-Referat: „Bindung: Weichenstellung zwischen Resilienz und Trauma“ sowie zum anschließenden Workshop Workshop 1: “ Resilienzförderung und Traumaprävention in der Kita”

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Kindgerechte Kita-Qualität

Kurzmitteilung

Der hier bereitgestellte Text ist eine Zusammenstellung von Expertenmeinungen und eine Zusammenschau der aktuellen Forschungsliteratur zur Betreuung von Kindern unter 3 Jahren. Er soll zur ersten ausführlicheren Information dienen und einige der dringlichsten Gründe für die Notwendigkeit zum sofortigen gemeinsamen Handeln für das Wohl unsere Kinder aus verschiedenen fundierten Quellen zusammentragen.

Um die Gültigkeit der Ausführungen zu untermauern, habe ich mich hier bewusst für die Zusammenstellung mehrere Quellen entschieden. Ich möchte nach und nach dem Anspruch genügen, die aktuell verfügbaren Forschungsliteratur hier in Form von Experten-Zitaten abzubilden. Diese Sammlung befindet sich also im Entstehungsprozess und wird stetig erweitert. Eine interdisziplinäre Literaturrecherche des Österreichischen Instituts für Familienforschung der Universität Wien zum Thema „Kindgerechte außerfamiliale Kinderbetreuung für unter 3-Jährige“ (KaKU3) aus dem Jahr 2009, bildet dabei den Ausgangspunkt für Ergänzungen aus weiteren leicht zugänglichen und damit nachvollziehbaren Quellen.

Einleitend einige Worte zur Einordnung des Themas in einen größeren Zusammenhang.

„Die außerfamiliale Betreuung von Kindern unter drei Jahren ist nach wie vor Gegenstand heftiger, zumeist ideologisch gefärbter Debatten. Dabei wird nicht selten Halbwissen auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse verhältnismäßig unreflektiert zur Untermauerung des jeweiligen Standpunktes herangezogen, der sich zumeist auf eine strikte Ablehnung oder eine uneingeschränkte Befürwortung außerfamilialer Betreuungsarrangements beschränkt. Faktum ist jedoch, dass die Forschungsliteratur keine prinzipiellen Aussagen darüber zulässt, ob frühe außerfamiliale Kinderbetreuung mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist oder nicht, sondern dass die Ausgestaltung derselben das entscheidende Kriterium darstellt.“
Quelle: KaKU3

Ob eine außerfamiliäre Betreuung mit dem Kindeswohl vereinbar ist oder gar ein Entwicklungsrisiko darstellt, darüber entscheidet somit die Qualität der Betreuung.

Das Verständnis von Qualität in Kindertageseinrichtungen muss sich vom Kind und seinen entwicklungsspezifischen Bedürfnissen her ableiten (z.B. Bensel/Haug-Schnabel 2008). Damit sind sowohl die physischen Grundbedürfnisse nach Schutz vor Kälte und Hitze, nach Nahrung, nach Sauberkeit und körperlicher Unversehrtheit als auch die psychischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Kompetenz- und Autonomieerleben gemeint.“

Quelle: Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Staatsinstitut für Frühpädagogik: „ Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zur Verbesserung des Ausbaus und der Qualität der Kindertagesstätten im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages“, am 10. November 2014

Im Folgenden möchte ich auf zwei den oben zitierten Qualitätsbereichen zugrunde liegende Aspekte beispielhaft eingehen. Diese einfach zu bestimmenden und somit harten Vorbedingungen von Qualität sind der Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Gruppengröße: „Ein günstigerer Personalschlüssel führt zu besserer pädagogischer Qualität in Kinderkrippen“ (NUBBEK-Studie, Tietze et al. 2013).

Fachkraft-Kind-Schlüssel und Gruppengröße

Was sagen also anerkannte Experten zu diesen beiden Kriterien von Kita-Qualität, welche u.a. zur Beantwortung der Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl herangezogen werden? Zu den folgenden Ausführungen möchte ich betonen, dass es sich hierbei um Mindestforderung der jeweiligen Experten handelt.

Dr. med. Karl-Heinz Brisch, Kinderpsychiater und Bindungsforscher plädiert für einen Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1:3 Kindern im Krippenalter (0-3Jahre).

Quelle: Bindung und Trauma: Risiken und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern
weitere Buchempfehlung: Kindergartenalter: Karl Heinz Brisch Bindungspsychotherapie – Bindungsbasierte Beratung und Therapie   

Prof. Remo Largo, Österreichischer Kinderarzt und Entwicklungsforscher empfiehlt für die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren eine Gruppengröße von höchstens 8 Kindern. Sind die Kinder unter 1,5 Jahre alt, spricht er von einem Fachkraft-Kind-Schlüssel der bei 1:3 liegen soll, bei Kindern zwischen 1,5 – 3 Jahren lautet seine Empfehlung 1:4.

Quelle: Glückliche Scheidungskinder: Trennungen und wie Kinder damit fertig werden
Bestseller von Remo Largo: Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren

Prof. Dr. phil. Éva Hédervári-Heller sowie Frau Dr. rer. nat. habil. Gabriele Haug-Schnabel äußern sich u.a. zur Gruppengröße und geben eine Höchstzahl von 8 Kindern bei einer reinen Kleinkindgruppe an. Bei altersgemischten Gruppen sprechen Sie von maximal 15 Kindern als Qualitätskriterium.

Prof. Jörg Maywald, „Deutsche Liga für das Kind“ empfiehlt für Gruppen von 2-3jährigen Kindern eine Gruppengröße von 5-8 Kindern. Ein günstiger Fachkraft-Kind-Schüssel liegt nach Prof. Maywald bei 1:3 für Kinder bis zum 2. Geburtstag. Für Kinder zwischen 2-3 Jahren sieht er einen Schlüssel von 1:5 als vertretbar an.

Quellen: Krippen: Wie frühe Betreuung gelingt: Fundierter Rat zu einem umstrittenen Thema und Flexible Betreuung von Unterdreijährigen im Kontext von Geborgenheit, Kontinuität und Zugehörigkeit

Einschätzungen des Staatsinstituts für Frühpädagogik: „(..) Zweijährige reagieren mit einer anhaltend erhöhten und damit entwicklungs-gefährdenden Stressbelastung auf:

  • zu große Gruppen (über 15 Kinder),
  • größere Altersunterschiede zwischen den Kindern (>6 Monate),
  • enge Räumlichkeiten (<5m2),
  • zu hohe Betreuungsdauer (>30 h pro Woche)
  • niedrige päd. Qualität (d.h. wenig Zuwendung/ Feinfühligkeit, viele Anweisungen, häufige Aktivitätenwechsel).

(Metaanalyse von Vermeer & Van Ijzendoorn, 2010; Legendre, 2003; Gunnar et al., 2010)“

Quelle: „Geht eine immer frühere institutionelle Versorgung auf Kosten der Kinder?“, Dipl.-Psych. Dr. Monika Wertfein wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik

Wie sieht im Vergleich dazu die Gesetzeslage nach dem Thüringer Kita-Gesetz aus?

ThürKitaG

Der aktuelle Fachkraft-Kind-Schlüssel in Thüringen, Quelle: ThürKitaG

  • zwischen 1 und 2 Jahren 1:6
  • bei den 2 bis 3jährigen bei 1:8
  • in der Realität meist schlechter, da die Personalausstattung auf die gesamte Kita berechnet wird, Fachkräfte oft nur in Teilzeit tätig sind, Öffnungszeiten über Schichtdienste abgedeckt werden müssen, Urlaub und Krankheit hinzukommen, Sondergenehmigungen für mehr Kinder bestehen…
  • Siehe zur Einordnung und zum Verständnis der Betreuung von 2jährigen „Krippenkindern“ in Kindergärten auch einen Passus der Thüringer Kita-Verordnung (wird weiter unten im Text zitiert) und deren z.B. in Erfurt nahezu flächendeckende Umsetzung.

Prof. Dr. med. Joachim Bauer Hirnforscher, Psychiater, Psychotherapeut und Bestsellerautor teilte mir auf meine Nachfrage in einer Email vom 23.04.16 zum aktuellen Thüringer Kita-Gesetz und der Thüringer Kita-Verordnung folgendes mit:

Sehr geehrte Frau Weismantel, besten Dank für Ihre Zeilen.

 Die Zeit nach dem zweiten Geburtstag und vor Vollendung des dritten Lebensjahres ist eine Übergangszeit: Die Kinder sind hier zwar kleingruppenfähig, brauchen aber nach wie vor zwingend immer wieder eine dyadische erklärende Ansprache.

Dem Gesetzestext [Thüringer Kita-Gesetz:]

„In der Regel sind altershomogene Kleinkindgruppen vom ersten Lebensjahr bis zu drei Jahren unter Einsatz der jeweils geltenden Personalschlüssel nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ThürKitaG zu bilden, um eine besondere und intensive Betreuung für die Kinder dieser Altersgruppe zu gewährleisten.“

kann ich so nicht zustimmen. Kinder unter 18 Monaten sind definitiv nicht „Kleinkindgruppen“-fähig. Zwischen dem 18. und 36. Monat kommt es m. E. sehr stark darauf an, dass 1. die Gruppen nicht zu groß sind (maximal 4-6) und dass 2. der Personalschlüssel so gestaltet ist, dass viel dyadisch interagiert werden kann.

„Sofern es der psychische, physische und geistige Entwicklungsstand eines Kindes in der Altersgruppe von zwei bis drei Jahren erlaubt, kann seine Betreuung in einer altersgemischten Gruppe von Drei- bis Sechsjährigen erfolgen.“ (aus der Kita-Verordnung)

würde ich zustimmen, wenn Kinder zwischen 24 und 36 Monaten gemeint sein sollten und wenn die Gruppen nicht zu groß sind (siehe oben). Etwa die Hälfte der Kinder werden den geforderten „psychischen, physischen und geistigen Entwicklungsstand“ allerdings in diesem Alter noch nicht haben.

Ich teile Ihre Sorgen.

Herzlichen Gruß
Joachim Bauer

Buchempfehlungen: Das Gedächtnis des Körpers: Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern , die Liste seiner Bestseller ist lang, siehe Amazon Autorenseite von Prof. Joachim Bauer

Wie kommen diese Experten zu Ihrer Meinung, dass die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren einen – aus der Thüringer Perspektive – vergleichsweise hohen Personalschlüssel und so kleine Gruppen verlangt? Standards, die durch die Thüringer Gesetzeslage besorgniserregend unterschritten werden.

„(…) Vor diesem Hintergrund wird die außerfamiliale Kinderbetreuung in den ersten Lebensjahren sehr kritisch beurteilt, was aber nicht unbedingt eine prinzipielle Ablehnung impliziert, sondern mit der Forderung nach einer äußerst hochwertigen, vollständig an den Bedürfnissen des Kindes orientierten Ausgestaltung der Betreuung einhergeht.
(…)
Dabei kann die an den Grundbedürfnissen des Kindes orientierte Beziehungsgestaltung als zentrales Kriterium für Betreuungsqualität herangezogen werden. Eine Betreuung, ob sie nun innerhalb oder außerhalb der Familie stattfindet, ist dann von hoher Qualität, wenn sie kindgerecht ist, (das heißt, wenn sie dem Kind wirklich gerecht wird), und das ist im Wesentlichen dann der Fall, wenn sich das Kind sicher und geborgen fühlen kann und die Möglichkeit hat, seine Fähigkeiten in einem geschützten Umfeld zu entfalten.“ KaKU3

Ein Eckpfeiler kindgerechter außerfamilialer Betreuung ist also die Beziehung (siehe auch Bindungsforschung). Bedingung für eine stabile tragfähige Beziehung ist neben hoher Professionalität vor allem die zeitliche Verfügbarkeit. Eine noch so professionelle und engagierte Fachkraft wird ohne ausreichende Zeit für individuelle, also dyadische Zuwendung und Interaktion, dem kindlichen Grundbedürfnis nach Bindung (bindungsähnlicher Beziehung) nicht gerecht werden können. Die Vereinbarkeit des Kindeswohls mit außerfamiliärer Kinderbetreuung ist bei andauernder mangelhafter zeitlicher Verfügbarkeit für individuelle Interaktionen der Bezugsperson mit jedem einzelnen Kind unter 3 Jahren somit nicht mehr gegeben.

„Eine frühe institutionelle Kinderbetreuung kann zum Risiko für die kindliche Entwicklung werden, wenn sie nicht die jeweiligen Entwicklungsbedürfnisse der Kinder berücksichtigt und eine dementsprechende Qualität vorhält.“

Quelle: „Geht eine immer frühere institutionelle Versorgung auf Kosten der Kinder?“ von Dipl.-Psych. Dr. Monika Wertfein wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik

 „Beziehung ist wichtiger als Pädagogik“

„Vor allem in den ersten Lebensjahren, in denen die existenzielle Abhängigkeit des Kindes von erwachsenen Bezugspersonen immanent ist und das Überleben buchstäblich nur durch deren Fürsorge gesichert wird, kann die Bedeutung einer Sicherheit und Schutz bietenden Beziehung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade für sehr kleine Kinder ist emotionale Zuwendung wichtiger als Pädagogik („Beziehung statt Erziehung“), was impliziert, dass BetreuerInnen in erster Linie Bezugspersonen sein müssen, zu denen das Kind Vertrauen hat. Eine unabdingbare Voraussetzung für das Wohlbefinden des Kindes in einer außerfamiliären Betreuungssituation, in der die vertrauten Bezugspersonen abwesend sind, bildet daher das Vorhandensein bzw. die Etablierung einer stabilen und tragfähigen Beziehung zu einer Betreuungsperson, sei es nun die Pädagogin in einer Kinderkrippe oder die Tagesmutter.

Diese Beziehung oder Bindung kann sich jedoch nur im gemeinsamen Miteinander entwickeln, sie erfordert Zeit und Bereitschaft der Betreuerin oder des Betreuers, um ein gegenseitiges Kennenlernen zu ermöglichen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Neben der (…) Sensitivität [Feinfühligkeit], verbunden mit der Bereitschaft, sich auf das Kind einzulassen, müssen auch die entsprechenden Rahmenbedingungen vorhanden sein, damit eine Beziehung zwischen BetreuerIn und Kind wachsen kann. Vor allem in der Eingewöhnungsphase muss die Möglichkeit bestehen, dass eine bestimmte Betreuungsperson sich dem Kind in ausgiebiger Weise zuwenden kann, ohne dass die übrigen Kinder in der Gruppe dadurch einen Nachteil erleiden oder der/die BetreuerIn in einen Interessenkonflikt zwischen den Bedürfnissen der verschiedenen Kinder gerät. Aber auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Eingewöhnungsphase abgeschlossen ist, muss für die Betreuungsperson die Möglichkeit bestehen, sich dem Kind in angemessener, seinem aktuellen Bedürfnis entsprechender Weise zuzuwenden.

Eine ungünstige Gruppensituation mit vielen Kindern und wenigen BetreuerInnen in einer Gruppe lässt diesen Anspruch jedoch von vorneherein als überhöht und unrealistisch erscheinen und bringt die Betreuungspersonen leicht in Bedrängnis, wenn sie dennoch versuchen, jedem einzelnen Kind gerecht zu werden.“ KaKU3

 

Die für Kinder unter 3 Jahren offenkundigen Risiken für das Kindeswohl in Thüringer Kitas sind untragbar. Das Gleiche gilt für die Stressbelastung und die emotionale Zerreißprobe, die wir gerade den hochengagierten und qualifizierten pädagogischen Fachkräften zumuten. Dass dies kein akzeptierbarer und rechtlich auch kein vertretbarer Zustand ist, wird nicht zuletzt auch durch die Kinderrechte und dem dort formulierten Prinzip des Kindeswohlvorrangs in rechtlichem Kontext deutlich:
In der UN-Kinderrechtskonvention (in Deutschland gültige Rechtsnorm) Art. 3 Abs. 1 UN-KRK heißt es hierzu „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Im Art. 24 Abs. 2 EU-Grundrechtscharta wird ebenso festgelegt „(2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Zusammenfassend kann deshalb gefolgert werden, dass Thüringer Eltern alleine schon aufgrund der ungünstigen Fachkraft-Kind-Schlüssel und der zu großen Gruppen keine ausreichende Kita-Qualität nach wissenschaftlichem Stand der Forschung für Kinder unter 3 Jahren erwarten können. Die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungsrisiken darf nicht weiter unter den Tisch fallen. Hier sehe ich alle Akteure in der Informationspflicht. Die Verantwortung für Erziehung und Schutz des Kindes vor Gefahren und Risiken weist das Grundgesetz den Eltern zu, Art. 6: „Pflege und Erziehung der Kinder
sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“. Aus diesem im Grundgesetz verankerte Erziehungsprimat leitet sich ab, dass Eltern alle die Betreuung betreffenden, notwendigen Informationen erhalten müssen, um ihre Pflicht, der elterlichen Verantwortung nachkommen zu können und im Rahmen ihrer Möglichkeiten im Sinne des Kindeswohls entscheiden zu können. Wird Eltern weiterhin eine Risikoaufklärung vorenthalten, so ist dies praktisch der Entzug von im Grundgesetz verankerten Elternrechten und -Pflichten.
Sehr wohl ist mir bewusst, dass es früher schlechter war, jedoch ist dies angesichts der Unbestreitbarkeit der bestehenden Risiken kein zulässiges Argument, sondern eine anerkennenswerte und zu bedauernde Feststellung, welche die jetzigen Risiken für das Kindeswohl nicht mindert.

Aufgrund der in Thüringen gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen ist von vornherein der wichtigste Qualitätsfaktor, nämlich eine an den Grundbedürfnissen des Kindes orientierte Beziehungsgestaltung, selbst von hochmotivierten, engagierten und sehr gut ausgebildeten Fachkräften wohl kaum und dann auch nicht ohne die Inkaufnahme eigener gesundheitlicher Gefährdung zu leisten. Eine Zusammenschau der Kriterien guter Kita-Qualität finden sich im Positionspapier der Deutschen Liga für das Kind.

Dieser Zustand, einhergehend mit dem diesbezüglich viel zu niedrigen Informationsstand auf Seiten der Eltern UND auf Seiten der Fachkräfte, ist skandalös. Die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins und damit die Information der Eltern für potentiell entwicklungsschädliche Betreuungskonstellationen muss dringend erfolgen. Im nächsten Schritt gilt es einen Weg zur Bündelung aller Kräfte (Eltern, pädagogische Fachkräfte, Politik etc.) für eine gemeinsame, konstruktive Verbesserung der Kita-Qualität zu beschreiten. Für eine kindgerechte Kita-Qualität in Thüringen, für gute Entwicklungs- und Bildungschancen unserer Kinder.

Mir liegen weitaus mehr maßgebliche Quellen und Informationen vor, die bislang noch nicht in den obigen Text eingearbeitet wurden. Bei Interesse übersende ich Ihnen gerne eine ausführlichere Quellen- und Linkliste.

Hier ein gutes Interview mit der Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik: http://www.zeit.de/2016/28/kita-qualitaet-fabienne-becker-stoll/komplettansicht

 

 

Bindung kommt vor Bildung: Wir zeigen Gesicht!

Liebe Freunde, liebe SAFE®– und Seminarteilnehmer, liebe Interessierte,

dieser kleine Beitrag mit dem Titel „Bindung kommt vor Bildung“ ist mir ein echtes Herzensanliegen und der Anfang einer mir sehr wichtigen Aktion. Ich möchte Euch hiermit einladen, mich dabei zu unterstützen und ein kleines persönliches Zeichen für die Bedeutung von Bindung zu setzen. Ich starte diese Aktion, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die überragende Bedeutung von Bindung, bereits viel mehr Menschen bewusst ist, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Bindung kommt vor Bildung Selfie

Unterstütze die Aktion und schicke mir so ein Foto von Dir

Gleichzeitig möchte ich uns damit ein wenig organisieren, ich möchte uns zusammenbringen, falls gewünscht Vernetzungen anbahnen, Kräfte bündeln und stärken, damit sich niemand länger isoliert und vielleicht sogar hilflos fühlen muss, angesichts unserer noch wenig diesen grundlegenden Erkenntnissen folgenden Gesellschaft.

Natürlich möchte ich auch für diejenigen ein Zeichen setzen, denen Bindung noch immer relativ banal, selbstverständlich gegeben oder gar unwichtig erscheint, denn das ist sie keinesfalls:

Bindung kommt vor Bildung!

Bindung ist ein überlebenswichtiges menschliches Grundbedürfnis, genauso wichtig wie die Luft zum Atmen und Ernährung. Eine sichere Bindung ist der größte seelische Resilienzfaktor, der maßgeblich mit über unsere Lebensweichen entscheidet. Durch sichere Bindungen und bindungsähnliche Beziehungen können wir große Vorteile erlangen und zwar nicht nur in den Bereichen, die wir zur Bildung zählen, sondern auf sehr viel weiter reichenden Ebenen: wie z.B.  im Laufe des Lebens mit Belastungen und Stress besser klar zu kommen, mehr Bewältigungsmöglichkeiten zu haben, kreativer zu sein und flexibler wenn es um zu lösende Aufgaben geht, die Gedächtnisleistungen von Menschen mit sicherer Bindungsentwicklung sind besser und sie können sich bereits sehr früh und besser in die Gefühle und Gedanken andere einfühlen (Empathiefähigkeit). Eine sichere Bindung ist also von großem Vorteil für einen Menschen.

Sichere Bindungsbeziehungen sind dabei viel komplexer als viele denken und gar nicht so einfach aufzubauen. Das Thema umfasst viel mehr als z.B. das eigene Kind zu lieben. Das tun alle Eltern. Dennoch sind ungefähr jedes 3. Kind und jeder 3. Erwachsene quer durch alle Schichten eben nicht sicher gebunden und können somit nur eingeschränkt selbst eine sichere Bindungsbeziehung eingehen. Damit können ca. 30-40% der Menschen in unserer Gesellschaft leider nicht ihr volles Entwicklungspotential entfalten und haben deutliche Nachteile und Risiken im Bereich ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer psychischen Gesundheit.

Die Befriedigung unserer basalen Bindungsbedürfnisse ist aber Voraussetzung für gelingende nachhaltige Lernprozesse und eine freudige Lern- und Leistungsbereitschaft sowie Basis für seelische Gesundheit! Diese Grundsätze gelten für das Kleinkind ebenso wie für Erwachsene in Arbeitskontexten, also lebenslang!

Lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen, um einen weiteren, vielleicht kleinen aber wichtigen Anstoß dafür zu geben, dass professionelles Bindungswissen irgendwann anerkannte Allgemeinbildung wird und ganz selbstverständlich unser zwischenmenschliches und professionelles Handeln im privaten und gesellschaftlichen Kontext leitet.

Setze gemeinsam mit mir ein Zeichen, zeige Gesicht und werde Bindungsbotschafter! Wie? Schicke mir einfach auch so ein Foto von Dir mit der Aussage: „Bindung kommt vor Bildung“ an anke.weismantel[at]reha-psych.de. Gerne darfst Du auch etwas persönliches von Dir darauf vermerken, beispielsweise Deinen Namen, Deinen Beruf, dass Du Mutter/Vater bist oder was auch immer Du für wichtig erachtest.

Ich freue mich auch besonders über persönliche Geschichten, welche die Aussage  „Bindung kommt vor Bildung“ untermauern.

Sobald ich mind. 25 Fotos erhalten habe, werde ich diese gemeinsam mit den persönlichen Geschichten in einer Art Bekenntnisgalerie veröffentlichen und weitere Menschen einladen, sich zur Bedeutung von Bindungswissen und gelingenden sicheren Bindungsbeziehungen für unser aller Leben zu bekennen. Ich versichere Dir hiermit, dass ich dein Bild so wie du es mir geschickt hast (ggf. also anonym) und nur für den hier angegebenen Zweck verwende! Bitte teile mir in deiner Email mit, ob Du Interesse an weiteren Infos und/oder einer Vernetzung hast und ob ich Dich noch einmal anschreiben darf.

Über weitere Ideen oder Verbesserungsvorschläge freue ich mich sehr!

Vielen Dank 🙂

Anke Weismantel