Kurse für psychische Gesundheit

Online-Kurs & Präsenz-Kurs möglich

Erste Hilfe leisten bei psychischen Problemen: Ersthelfer*innen gesucht!
„Ich glaube, mit ihm stimmt etwas nicht.“ Häufig haben wir ein gutes Gespür dafür, wenn es einem Mitmenschen nicht gut geht oder er sich ungewöhnlich verhält. Oft ist dieses Gefühl leider begründet. Mehr als 40 Prozent der Deutschen erleben mindestens einmal im Leben eine behandlungsbedürftige psychische Störung. Damit kennen fast alle Menschen in ihrem persönlichen Umfeld Personen, die psychische Störungen haben oder in der Vergangenheit darunter litten. Doch meist sind sie unsicher, wie sie am besten auf Betroffene zugehen und Unterstützung anbieten können.

Inhalte der MHFA Ersthelfer-Kurse
In den MHFA Ersthelfer-Kursen lernen Laien, wie sie frühzeitig psychische Probleme und Krisen bei Angehörigen, Freundinnen und Kolleginnen erkennen und ansprechen sowie konkrete Hilfestellungen geben. Denn jeder kann MHFA Ersthelfender werden. Die nächsten Termine für MHFA Ersthelfer-Kursen können Sie direkt bei mir erfragen: anke.weismantel[at]reha-psych.de

Der MHFA Ersthelfer-Kurs ist ein 12-Stunden-Kurs für Erwachsene, die den Wunsch haben, Betroffene zu unterstützen. Die Kurse werden von geschultem Fachpersonal – sogenannten Instruktorinnen – durchgeführt. Zunächst erfolgt die Vermittlung von Basiswissen zu psychischen Störungen. Daran anknüpfend lernen die Ersthelfenden zu entscheiden, ob es sich in der jeweiligen Situation um eine akute Krise handelt und sofortige professionelle Hilfe erforderlich ist. Erste-Hilfe-Maßnahmen werden durch praktische Übungen mit Gesprächstechniken und Rollenspielen verfestigt. Teilnehmende lernen darüber hinaus, frühzeitig Störungen zu erkennen, Zugang zu Betroffenen zu finden und dabei zu helfen, erfolgreich eine psychische Krise zu bewältigen. Denn je früher Betroffene professionelle Hilfe erhalten, desto höher sind die Chancen auf Gesundung. Zudem erfahren Ersthelfende, wie sie gezielt unterstützen, informieren und weitere Maßnahmen einleiten können. Schließlich erhalten Kursteilnehmerinnen konkrete Informationen über lokale und deutschlandweite Hilfsangebote und werden darin geschult, Betroffene zu professioneller Hilfe zu ermutigen.

Ziele der MHFA Ersthelfer-Kurse
Der MHFA Ersthelfer-Kurs für psychische Gesundheit verbessert das Wissen über psychische Gesundheit, vermindert stigmatisierendes Verhalten, steigert das Vertrauen in die eigenen Helferkompetenzen und stärkt darüber hinaus die eigene psychische Gesundheit. Nicht zuletzt können MHFA Ersthelfer-Kurse dazu beitragen, Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Störungen abzubauen. Ersthelfenden wird ein neuer Zugang vermittelt, sie können die Probleme der Betroffenen besser einordnen und – ähnlich wie bei medizinischen Notfällen – gesundheitsfördernde und sogar lebensrettende Maßnahmen ergreifen.

Entstehung und Hintergrund der MHFA Ersthelfer-Kurse
MHFA Ersthelfer ist das deutsche Pendant von Mental Health First Aid (MHFA) – einem globalen, innovativen Programm, das im Jahr 2000 in Australien nach dem erfolgreichen Vorbild für Erste Hilfe für körperliche Erkrankungen entstanden ist. MHFA wurde von professionellen Expertinnen und Betroffenen gemeinsam entwickelt und ist bereits in 24 Ländern aktiv verbreitet. In Deutschland wurde MHFA Ersthelfer 2019 am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim mit Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung GmbH ins Leben gerufen. Aktuell arbeitet MHFA Ersthelfer in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung daran, ein Netzwerk an Instruktorinnen für die deutschlandweite Bekanntmachung aufzubauen.

Es gibt weltweit bereits über vier Millionen Ersthelfer*innen für psychische Gesundheit – werden Sie die oder der Nächste und kontaktieren Sie mich:
anke.weismantel[at]reha-psych.de

Vortragsabend zum Start wirklich guter frühkindlicher Betreuung

Eltern und Fachkräfte informierten sich zu kindgerechter Eingewöhnung in KiTa und Tagespflege und entdeckten eine gemeinsame Sprache für gelingendes Miteinander

Der erste offene SAFE®-Elternabend finanziert durch die Bundesinitiative Frühe Hilfen, fand am vergangenen Donnerstag im Rathaus am Fischmarkt statt. Mehr als 30 Eltern, ErzieherInnen und Tagesmütter, die sich für das Wohl von kleinen Kindern in der Eingewöhnung und in der Betreuung sowie für frühkindliche Bildung interessierten, füllten die Räumlichkeiten. einladung-elternabend-fisch

Die seltene, weil bunte Zusammenstellung der Teilnehmer, bestehend aus Eltern und Betreuungspersonen, erwies sich als äußerst gewinnbringend und fruchtbar für die Veranstaltung. In keinem anderen Kontext könnten sich Eltern und Fachkräfte so offen, stressfrei auf Augenhöhe und von Mensch zu Mensch begegnen. Durch die referierten Inhalte war es zudem möglich eine gemeinsame Sprache zu finden und damit die verschiedenen Perspektiven und Einsichten auszutauschen und gemeinsam mehr Verständnis und Wertschätzung füreinander zu erlangen. Es wurde konstruktiv und intensiv über gängige Eingewöhnungspraktiken in Erfurt und Umgebung diskutiert und die wissenschaftlich begründeten Bedingungen guter Eingewöhnung mit den in der Praxis gegebenen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen in Thüringen und anderen Ländern abgeglichen.

Das erklärte Ziel der Veranstaltung, nämlich ein basales Verständnis entwicklungspsychologischer Grundprinzipien kindlicher Entwicklung zu vermitteln und deren fundamentale Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung und Bildung bis ins Erwachsenenalter zu verdeutlichen, konnte laut der Rückmeldungen der Teilnehmer voll erreicht werden. Durch die in leicht verständlichen und eingängigen Beispielen und Bildern vermittelte Funktionsweise der Kinderseele, war es insbesondere für die teilnehmenden Eltern möglich, die Notwendigkeit von guter Eingewöhnung und Betreuung nicht nur zu erkennen, sondern selbstbewusst und im Einklang mit dem elterlichen Bauchgefühl auch auf einem theoretisch-fachlichen Niveau einzuschätzen.

Einige Eltern fühlten sich hierdurch so bestärkt, dass vorige Unklarheiten über die Betreuungssituation des eigenen Kindes gänzlich aus dem Weg geräumt werden konnten. So berichtete eine Mutter: „Meine Zweifel haben sich komplett aufgelöst und ich vertraue zukünftig mehr auf mein Bauchgefühl. Es ist wirklich toll, dass das eigene Gefühl von so viel Fachlichkeit gestützt wird!“. Positiv überrascht waren viele Eltern über die eingängigen und logisch nachvollziehbaren Zusammenhänge kindlichen Verhaltens: „Warum erfährt man das nicht viel früher?!“ wollte eine Mutter nach Ende der Veranstaltung wissen.

Auch für die Betreuungspersonen gestaltete sich der Abend als gewinnbringend, da eigene Grundhaltungen noch einmal fachlich untermauert werden konnten und wichtige Eingewöhnungstipps insbesondere auch zur Elternarbeit zu einer Bestärkung der eigenen Position und fachlichen Herangehensweise beitrugen. So meldete eine Tagesmutter zurück: „Es freut mich sehr, dass meine Art Eingewöhnung zu gestalten genau richtig ist und ich das Eltern jetzt noch besser erklären kann. Aber es ist auch erschreckend, was da einige Eltern von woanders berichtet haben. Solche Abende sind wirklich wichtig. Ich hoffe sehr, dass Sie das noch öfter anbieten.“

Die Position, dass derartige Veranstaltungen und vertiefende Angebote regelmäßig angeboten werden sollten, fand bei allen Teilnehmern großen Zuspruch. Einige Teilnehmer wünschten sich diese Abendveranstaltung sogar als Pflichtveranstaltung für alle Eltern und Fachkräfte, damit Kinder nicht mehr unter Verhaltensweisen und Praktiken leiden müssten, die kindgerechter und damit gesunder Entwicklung entgegenwirken. Von den Teilnehmern eingebrachte Einzelbeispiele deuteten darauf hin, dass solche Methoden zum Teil aufgrund mangelnder Kenntnisse vielleicht sogar in der Annahme ihres Erziehungswertes angewendet und propagiert würden. Hier konnten sich die Teilnehmer gegenseitig in ihrer bindungsorientierten Grundhaltung und dem Grundsatz, einer sicheren Bindung immer Vorrang vor anderen Erziehungs- oder Bildungszielen zu geben, bestärken.

Alles in allem kann der erste offene Vortrags- und Diskussionsabend für Eltern und Fachkräfte als sehr gelungen bezeichnet werden. Allerdings zeigte ich auch Verbesserungsbedarf: Zwei Stunden sind für so ein bedeutungsvolles Thema und viele individuelle Fragen einfach viel zu kurz, da waren sich alle Teilnehmer einig. Die anschließende Diskussionszeit von einer weiteren Stunde wurde somit auch voll ausgenutzt.
Der zweite und vorerst letzte Elternvortrag zum Thema kindgerechte Eingewöhnung, Wohlbefinden in der Betreuung und gelingender frühkindlicher Bildung findet am 02.12., wieder ab 18 Uhr im Rathaus am Fischmarkt statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.

Anke Weismantel
Dipl.-Reha-Psych. (FH)
SAFE®-Mentorin

Für die TeilnehmerInnen der beiden Elternabende gibt es hier die wichtigsten Materialien und Links zum Download.

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Kindgerechte Kita-Qualität

Kurzmitteilung

Der hier bereitgestellte Text ist eine Zusammenstellung von Expertenmeinungen und eine Zusammenschau der aktuellen Forschungsliteratur zur Betreuung von Kindern unter 3 Jahren. Er soll zur ersten ausführlicheren Information dienen und einige der dringlichsten Gründe für die Notwendigkeit zum sofortigen gemeinsamen Handeln für das Wohl unsere Kinder aus verschiedenen fundierten Quellen zusammentragen.

Um die Gültigkeit der Ausführungen zu untermauern, habe ich mich hier bewusst für die Zusammenstellung mehrere Quellen entschieden. Ich möchte nach und nach dem Anspruch genügen, die aktuell verfügbaren Forschungsliteratur hier in Form von Experten-Zitaten abzubilden. Diese Sammlung befindet sich also im Entstehungsprozess und wird stetig erweitert. Eine interdisziplinäre Literaturrecherche des Österreichischen Instituts für Familienforschung der Universität Wien zum Thema „Kindgerechte außerfamiliale Kinderbetreuung für unter 3-Jährige“ (KaKU3) aus dem Jahr 2009, bildet dabei den Ausgangspunkt für Ergänzungen aus weiteren leicht zugänglichen und damit nachvollziehbaren Quellen.

Einleitend einige Worte zur Einordnung des Themas in einen größeren Zusammenhang.

„Die außerfamiliale Betreuung von Kindern unter drei Jahren ist nach wie vor Gegenstand heftiger, zumeist ideologisch gefärbter Debatten. Dabei wird nicht selten Halbwissen auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse verhältnismäßig unreflektiert zur Untermauerung des jeweiligen Standpunktes herangezogen, der sich zumeist auf eine strikte Ablehnung oder eine uneingeschränkte Befürwortung außerfamilialer Betreuungsarrangements beschränkt. Faktum ist jedoch, dass die Forschungsliteratur keine prinzipiellen Aussagen darüber zulässt, ob frühe außerfamiliale Kinderbetreuung mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist oder nicht, sondern dass die Ausgestaltung derselben das entscheidende Kriterium darstellt.“
Quelle: KaKU3

Ob eine außerfamiliäre Betreuung mit dem Kindeswohl vereinbar ist oder gar ein Entwicklungsrisiko darstellt, darüber entscheidet somit die Qualität der Betreuung.

Das Verständnis von Qualität in Kindertageseinrichtungen muss sich vom Kind und seinen entwicklungsspezifischen Bedürfnissen her ableiten (z.B. Bensel/Haug-Schnabel 2008). Damit sind sowohl die physischen Grundbedürfnisse nach Schutz vor Kälte und Hitze, nach Nahrung, nach Sauberkeit und körperlicher Unversehrtheit als auch die psychischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Kompetenz- und Autonomieerleben gemeint.“

Quelle: Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Staatsinstitut für Frühpädagogik: „ Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zur Verbesserung des Ausbaus und der Qualität der Kindertagesstätten im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages“, am 10. November 2014

Im Folgenden möchte ich auf zwei den oben zitierten Qualitätsbereichen zugrunde liegende Aspekte beispielhaft eingehen. Diese einfach zu bestimmenden und somit harten Vorbedingungen von Qualität sind der Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Gruppengröße: „Ein günstigerer Personalschlüssel führt zu besserer pädagogischer Qualität in Kinderkrippen“ (NUBBEK-Studie, Tietze et al. 2013).

Fachkraft-Kind-Schlüssel und Gruppengröße

Was sagen also anerkannte Experten zu diesen beiden Kriterien von Kita-Qualität, welche u.a. zur Beantwortung der Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl herangezogen werden? Zu den folgenden Ausführungen möchte ich betonen, dass es sich hierbei um Mindestforderung der jeweiligen Experten handelt.

Dr. med. Karl-Heinz Brisch, Kinderpsychiater und Bindungsforscher plädiert für einen Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1:3 Kindern im Krippenalter (0-3Jahre).

Quelle: Bindung und Trauma: Risiken und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern
weitere Buchempfehlung: Kindergartenalter: Karl Heinz Brisch Bindungspsychotherapie – Bindungsbasierte Beratung und Therapie   

Prof. Remo Largo, Österreichischer Kinderarzt und Entwicklungsforscher empfiehlt für die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren eine Gruppengröße von höchstens 8 Kindern. Sind die Kinder unter 1,5 Jahre alt, spricht er von einem Fachkraft-Kind-Schlüssel der bei 1:3 liegen soll, bei Kindern zwischen 1,5 – 3 Jahren lautet seine Empfehlung 1:4.

Quelle: Glückliche Scheidungskinder: Trennungen und wie Kinder damit fertig werden
Bestseller von Remo Largo: Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren

Prof. Dr. phil. Éva Hédervári-Heller sowie Frau Dr. rer. nat. habil. Gabriele Haug-Schnabel äußern sich u.a. zur Gruppengröße und geben eine Höchstzahl von 8 Kindern bei einer reinen Kleinkindgruppe an. Bei altersgemischten Gruppen sprechen Sie von maximal 15 Kindern als Qualitätskriterium.

Prof. Jörg Maywald, „Deutsche Liga für das Kind“ empfiehlt für Gruppen von 2-3jährigen Kindern eine Gruppengröße von 5-8 Kindern. Ein günstiger Fachkraft-Kind-Schüssel liegt nach Prof. Maywald bei 1:3 für Kinder bis zum 2. Geburtstag. Für Kinder zwischen 2-3 Jahren sieht er einen Schlüssel von 1:5 als vertretbar an.

Quellen: Krippen: Wie frühe Betreuung gelingt: Fundierter Rat zu einem umstrittenen Thema und Flexible Betreuung von Unterdreijährigen im Kontext von Geborgenheit, Kontinuität und Zugehörigkeit

Einschätzungen des Staatsinstituts für Frühpädagogik: „(..) Zweijährige reagieren mit einer anhaltend erhöhten und damit entwicklungs-gefährdenden Stressbelastung auf:

  • zu große Gruppen (über 15 Kinder),
  • größere Altersunterschiede zwischen den Kindern (>6 Monate),
  • enge Räumlichkeiten (<5m2),
  • zu hohe Betreuungsdauer (>30 h pro Woche)
  • niedrige päd. Qualität (d.h. wenig Zuwendung/ Feinfühligkeit, viele Anweisungen, häufige Aktivitätenwechsel).

(Metaanalyse von Vermeer & Van Ijzendoorn, 2010; Legendre, 2003; Gunnar et al., 2010)“

Quelle: „Geht eine immer frühere institutionelle Versorgung auf Kosten der Kinder?“, Dipl.-Psych. Dr. Monika Wertfein wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik

Wie sieht im Vergleich dazu die Gesetzeslage nach dem Thüringer Kita-Gesetz aus?

ThürKitaG

Der aktuelle Fachkraft-Kind-Schlüssel in Thüringen, Quelle: ThürKitaG

  • zwischen 1 und 2 Jahren 1:6
  • bei den 2 bis 3jährigen bei 1:8
  • in der Realität meist schlechter, da die Personalausstattung auf die gesamte Kita berechnet wird, Fachkräfte oft nur in Teilzeit tätig sind, Öffnungszeiten über Schichtdienste abgedeckt werden müssen, Urlaub und Krankheit hinzukommen, Sondergenehmigungen für mehr Kinder bestehen…
  • Siehe zur Einordnung und zum Verständnis der Betreuung von 2jährigen „Krippenkindern“ in Kindergärten auch einen Passus der Thüringer Kita-Verordnung (wird weiter unten im Text zitiert) und deren z.B. in Erfurt nahezu flächendeckende Umsetzung.

Prof. Dr. med. Joachim Bauer Hirnforscher, Psychiater, Psychotherapeut und Bestsellerautor teilte mir auf meine Nachfrage in einer Email vom 23.04.16 zum aktuellen Thüringer Kita-Gesetz und der Thüringer Kita-Verordnung folgendes mit:

Sehr geehrte Frau Weismantel, besten Dank für Ihre Zeilen.

 Die Zeit nach dem zweiten Geburtstag und vor Vollendung des dritten Lebensjahres ist eine Übergangszeit: Die Kinder sind hier zwar kleingruppenfähig, brauchen aber nach wie vor zwingend immer wieder eine dyadische erklärende Ansprache.

Dem Gesetzestext [Thüringer Kita-Gesetz:]

„In der Regel sind altershomogene Kleinkindgruppen vom ersten Lebensjahr bis zu drei Jahren unter Einsatz der jeweils geltenden Personalschlüssel nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ThürKitaG zu bilden, um eine besondere und intensive Betreuung für die Kinder dieser Altersgruppe zu gewährleisten.“

kann ich so nicht zustimmen. Kinder unter 18 Monaten sind definitiv nicht „Kleinkindgruppen“-fähig. Zwischen dem 18. und 36. Monat kommt es m. E. sehr stark darauf an, dass 1. die Gruppen nicht zu groß sind (maximal 4-6) und dass 2. der Personalschlüssel so gestaltet ist, dass viel dyadisch interagiert werden kann.

„Sofern es der psychische, physische und geistige Entwicklungsstand eines Kindes in der Altersgruppe von zwei bis drei Jahren erlaubt, kann seine Betreuung in einer altersgemischten Gruppe von Drei- bis Sechsjährigen erfolgen.“ (aus der Kita-Verordnung)

würde ich zustimmen, wenn Kinder zwischen 24 und 36 Monaten gemeint sein sollten und wenn die Gruppen nicht zu groß sind (siehe oben). Etwa die Hälfte der Kinder werden den geforderten „psychischen, physischen und geistigen Entwicklungsstand“ allerdings in diesem Alter noch nicht haben.

Ich teile Ihre Sorgen.

Herzlichen Gruß
Joachim Bauer

Buchempfehlungen: Das Gedächtnis des Körpers: Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern , die Liste seiner Bestseller ist lang, siehe Amazon Autorenseite von Prof. Joachim Bauer

Wie kommen diese Experten zu Ihrer Meinung, dass die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren einen – aus der Thüringer Perspektive – vergleichsweise hohen Personalschlüssel und so kleine Gruppen verlangt? Standards, die durch die Thüringer Gesetzeslage besorgniserregend unterschritten werden.

„(…) Vor diesem Hintergrund wird die außerfamiliale Kinderbetreuung in den ersten Lebensjahren sehr kritisch beurteilt, was aber nicht unbedingt eine prinzipielle Ablehnung impliziert, sondern mit der Forderung nach einer äußerst hochwertigen, vollständig an den Bedürfnissen des Kindes orientierten Ausgestaltung der Betreuung einhergeht.
(…)
Dabei kann die an den Grundbedürfnissen des Kindes orientierte Beziehungsgestaltung als zentrales Kriterium für Betreuungsqualität herangezogen werden. Eine Betreuung, ob sie nun innerhalb oder außerhalb der Familie stattfindet, ist dann von hoher Qualität, wenn sie kindgerecht ist, (das heißt, wenn sie dem Kind wirklich gerecht wird), und das ist im Wesentlichen dann der Fall, wenn sich das Kind sicher und geborgen fühlen kann und die Möglichkeit hat, seine Fähigkeiten in einem geschützten Umfeld zu entfalten.“ KaKU3

Ein Eckpfeiler kindgerechter außerfamilialer Betreuung ist also die Beziehung (siehe auch Bindungsforschung). Bedingung für eine stabile tragfähige Beziehung ist neben hoher Professionalität vor allem die zeitliche Verfügbarkeit. Eine noch so professionelle und engagierte Fachkraft wird ohne ausreichende Zeit für individuelle, also dyadische Zuwendung und Interaktion, dem kindlichen Grundbedürfnis nach Bindung (bindungsähnlicher Beziehung) nicht gerecht werden können. Die Vereinbarkeit des Kindeswohls mit außerfamiliärer Kinderbetreuung ist bei andauernder mangelhafter zeitlicher Verfügbarkeit für individuelle Interaktionen der Bezugsperson mit jedem einzelnen Kind unter 3 Jahren somit nicht mehr gegeben.

„Eine frühe institutionelle Kinderbetreuung kann zum Risiko für die kindliche Entwicklung werden, wenn sie nicht die jeweiligen Entwicklungsbedürfnisse der Kinder berücksichtigt und eine dementsprechende Qualität vorhält.“

Quelle: „Geht eine immer frühere institutionelle Versorgung auf Kosten der Kinder?“ von Dipl.-Psych. Dr. Monika Wertfein wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik

 „Beziehung ist wichtiger als Pädagogik“

„Vor allem in den ersten Lebensjahren, in denen die existenzielle Abhängigkeit des Kindes von erwachsenen Bezugspersonen immanent ist und das Überleben buchstäblich nur durch deren Fürsorge gesichert wird, kann die Bedeutung einer Sicherheit und Schutz bietenden Beziehung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade für sehr kleine Kinder ist emotionale Zuwendung wichtiger als Pädagogik („Beziehung statt Erziehung“), was impliziert, dass BetreuerInnen in erster Linie Bezugspersonen sein müssen, zu denen das Kind Vertrauen hat. Eine unabdingbare Voraussetzung für das Wohlbefinden des Kindes in einer außerfamiliären Betreuungssituation, in der die vertrauten Bezugspersonen abwesend sind, bildet daher das Vorhandensein bzw. die Etablierung einer stabilen und tragfähigen Beziehung zu einer Betreuungsperson, sei es nun die Pädagogin in einer Kinderkrippe oder die Tagesmutter.

Diese Beziehung oder Bindung kann sich jedoch nur im gemeinsamen Miteinander entwickeln, sie erfordert Zeit und Bereitschaft der Betreuerin oder des Betreuers, um ein gegenseitiges Kennenlernen zu ermöglichen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Neben der (…) Sensitivität [Feinfühligkeit], verbunden mit der Bereitschaft, sich auf das Kind einzulassen, müssen auch die entsprechenden Rahmenbedingungen vorhanden sein, damit eine Beziehung zwischen BetreuerIn und Kind wachsen kann. Vor allem in der Eingewöhnungsphase muss die Möglichkeit bestehen, dass eine bestimmte Betreuungsperson sich dem Kind in ausgiebiger Weise zuwenden kann, ohne dass die übrigen Kinder in der Gruppe dadurch einen Nachteil erleiden oder der/die BetreuerIn in einen Interessenkonflikt zwischen den Bedürfnissen der verschiedenen Kinder gerät. Aber auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Eingewöhnungsphase abgeschlossen ist, muss für die Betreuungsperson die Möglichkeit bestehen, sich dem Kind in angemessener, seinem aktuellen Bedürfnis entsprechender Weise zuzuwenden.

Eine ungünstige Gruppensituation mit vielen Kindern und wenigen BetreuerInnen in einer Gruppe lässt diesen Anspruch jedoch von vorneherein als überhöht und unrealistisch erscheinen und bringt die Betreuungspersonen leicht in Bedrängnis, wenn sie dennoch versuchen, jedem einzelnen Kind gerecht zu werden.“ KaKU3

 

Die für Kinder unter 3 Jahren offenkundigen Risiken für das Kindeswohl in Thüringer Kitas sind untragbar. Das Gleiche gilt für die Stressbelastung und die emotionale Zerreißprobe, die wir gerade den hochengagierten und qualifizierten pädagogischen Fachkräften zumuten. Dass dies kein akzeptierbarer und rechtlich auch kein vertretbarer Zustand ist, wird nicht zuletzt auch durch die Kinderrechte und dem dort formulierten Prinzip des Kindeswohlvorrangs in rechtlichem Kontext deutlich:
In der UN-Kinderrechtskonvention (in Deutschland gültige Rechtsnorm) Art. 3 Abs. 1 UN-KRK heißt es hierzu „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Im Art. 24 Abs. 2 EU-Grundrechtscharta wird ebenso festgelegt „(2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Zusammenfassend kann deshalb gefolgert werden, dass Thüringer Eltern alleine schon aufgrund der ungünstigen Fachkraft-Kind-Schlüssel und der zu großen Gruppen keine ausreichende Kita-Qualität nach wissenschaftlichem Stand der Forschung für Kinder unter 3 Jahren erwarten können. Die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungsrisiken darf nicht weiter unter den Tisch fallen. Hier sehe ich alle Akteure in der Informationspflicht. Die Verantwortung für Erziehung und Schutz des Kindes vor Gefahren und Risiken weist das Grundgesetz den Eltern zu, Art. 6: „Pflege und Erziehung der Kinder
sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“. Aus diesem im Grundgesetz verankerte Erziehungsprimat leitet sich ab, dass Eltern alle die Betreuung betreffenden, notwendigen Informationen erhalten müssen, um ihre Pflicht, der elterlichen Verantwortung nachkommen zu können und im Rahmen ihrer Möglichkeiten im Sinne des Kindeswohls entscheiden zu können. Wird Eltern weiterhin eine Risikoaufklärung vorenthalten, so ist dies praktisch der Entzug von im Grundgesetz verankerten Elternrechten und -Pflichten.
Sehr wohl ist mir bewusst, dass es früher schlechter war, jedoch ist dies angesichts der Unbestreitbarkeit der bestehenden Risiken kein zulässiges Argument, sondern eine anerkennenswerte und zu bedauernde Feststellung, welche die jetzigen Risiken für das Kindeswohl nicht mindert.

Aufgrund der in Thüringen gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen ist von vornherein der wichtigste Qualitätsfaktor, nämlich eine an den Grundbedürfnissen des Kindes orientierte Beziehungsgestaltung, selbst von hochmotivierten, engagierten und sehr gut ausgebildeten Fachkräften wohl kaum und dann auch nicht ohne die Inkaufnahme eigener gesundheitlicher Gefährdung zu leisten. Eine Zusammenschau der Kriterien guter Kita-Qualität finden sich im Positionspapier der Deutschen Liga für das Kind.

Dieser Zustand, einhergehend mit dem diesbezüglich viel zu niedrigen Informationsstand auf Seiten der Eltern UND auf Seiten der Fachkräfte, ist skandalös. Die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins und damit die Information der Eltern für potentiell entwicklungsschädliche Betreuungskonstellationen muss dringend erfolgen. Im nächsten Schritt gilt es einen Weg zur Bündelung aller Kräfte (Eltern, pädagogische Fachkräfte, Politik etc.) für eine gemeinsame, konstruktive Verbesserung der Kita-Qualität zu beschreiten. Für eine kindgerechte Kita-Qualität in Thüringen, für gute Entwicklungs- und Bildungschancen unserer Kinder.

Mir liegen weitaus mehr maßgebliche Quellen und Informationen vor, die bislang noch nicht in den obigen Text eingearbeitet wurden. Bei Interesse übersende ich Ihnen gerne eine ausführlichere Quellen- und Linkliste.

Hier ein gutes Interview mit der Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik: http://www.zeit.de/2016/28/kita-qualitaet-fabienne-becker-stoll/komplettansicht

 

 

Bindung kommt vor Bildung: Wir zeigen Gesicht!

Liebe Freunde, liebe SAFE®– und Seminarteilnehmer, liebe Interessierte,

dieser kleine Beitrag mit dem Titel „Bindung kommt vor Bildung“ ist mir ein echtes Herzensanliegen und der Anfang einer mir sehr wichtigen Aktion. Ich möchte Euch hiermit einladen, mich dabei zu unterstützen und ein kleines persönliches Zeichen für die Bedeutung von Bindung zu setzen. Ich starte diese Aktion, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die überragende Bedeutung von Bindung, bereits viel mehr Menschen bewusst ist, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Bindung kommt vor Bildung Selfie

Unterstütze die Aktion und schicke mir so ein Foto von Dir

Gleichzeitig möchte ich uns damit ein wenig organisieren, ich möchte uns zusammenbringen, falls gewünscht Vernetzungen anbahnen, Kräfte bündeln und stärken, damit sich niemand länger isoliert und vielleicht sogar hilflos fühlen muss, angesichts unserer noch wenig diesen grundlegenden Erkenntnissen folgenden Gesellschaft.

Natürlich möchte ich auch für diejenigen ein Zeichen setzen, denen Bindung noch immer relativ banal, selbstverständlich gegeben oder gar unwichtig erscheint, denn das ist sie keinesfalls:

Bindung kommt vor Bildung!

Bindung ist ein überlebenswichtiges menschliches Grundbedürfnis, genauso wichtig wie die Luft zum Atmen und Ernährung. Eine sichere Bindung ist der größte seelische Resilienzfaktor, der maßgeblich mit über unsere Lebensweichen entscheidet. Durch sichere Bindungen und bindungsähnliche Beziehungen können wir große Vorteile erlangen und zwar nicht nur in den Bereichen, die wir zur Bildung zählen, sondern auf sehr viel weiter reichenden Ebenen: wie z.B.  im Laufe des Lebens mit Belastungen und Stress besser klar zu kommen, mehr Bewältigungsmöglichkeiten zu haben, kreativer zu sein und flexibler wenn es um zu lösende Aufgaben geht, die Gedächtnisleistungen von Menschen mit sicherer Bindungsentwicklung sind besser und sie können sich bereits sehr früh und besser in die Gefühle und Gedanken andere einfühlen (Empathiefähigkeit). Eine sichere Bindung ist also von großem Vorteil für einen Menschen.

Sichere Bindungsbeziehungen sind dabei viel komplexer als viele denken und gar nicht so einfach aufzubauen. Das Thema umfasst viel mehr als z.B. das eigene Kind zu lieben. Das tun alle Eltern. Dennoch sind ungefähr jedes 3. Kind und jeder 3. Erwachsene quer durch alle Schichten eben nicht sicher gebunden und können somit nur eingeschränkt selbst eine sichere Bindungsbeziehung eingehen. Damit können ca. 30-40% der Menschen in unserer Gesellschaft leider nicht ihr volles Entwicklungspotential entfalten und haben deutliche Nachteile und Risiken im Bereich ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer psychischen Gesundheit.

Die Befriedigung unserer basalen Bindungsbedürfnisse ist aber Voraussetzung für gelingende nachhaltige Lernprozesse und eine freudige Lern- und Leistungsbereitschaft sowie Basis für seelische Gesundheit! Diese Grundsätze gelten für das Kleinkind ebenso wie für Erwachsene in Arbeitskontexten, also lebenslang!

Lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen, um einen weiteren, vielleicht kleinen aber wichtigen Anstoß dafür zu geben, dass professionelles Bindungswissen irgendwann anerkannte Allgemeinbildung wird und ganz selbstverständlich unser zwischenmenschliches und professionelles Handeln im privaten und gesellschaftlichen Kontext leitet.

Setze gemeinsam mit mir ein Zeichen, zeige Gesicht und werde Bindungsbotschafter! Wie? Schicke mir einfach auch so ein Foto von Dir mit der Aussage: „Bindung kommt vor Bildung“ an anke.weismantel[at]reha-psych.de. Gerne darfst Du auch etwas persönliches von Dir darauf vermerken, beispielsweise Deinen Namen, Deinen Beruf, dass Du Mutter/Vater bist oder was auch immer Du für wichtig erachtest.

Ich freue mich auch besonders über persönliche Geschichten, welche die Aussage  „Bindung kommt vor Bildung“ untermauern.

Sobald ich mind. 25 Fotos erhalten habe, werde ich diese gemeinsam mit den persönlichen Geschichten in einer Art Bekenntnisgalerie veröffentlichen und weitere Menschen einladen, sich zur Bedeutung von Bindungswissen und gelingenden sicheren Bindungsbeziehungen für unser aller Leben zu bekennen. Ich versichere Dir hiermit, dass ich dein Bild so wie du es mir geschickt hast (ggf. also anonym) und nur für den hier angegebenen Zweck verwende! Bitte teile mir in deiner Email mit, ob Du Interesse an weiteren Infos und/oder einer Vernetzung hast und ob ich Dich noch einmal anschreiben darf.

Über weitere Ideen oder Verbesserungsvorschläge freue ich mich sehr!

Vielen Dank 🙂

Anke Weismantel

 

SAFE®-Elternabend-Reihe in Erfurter Krippen

Elternabend

Liebe Eltern, liebe pädagogische Fachkräfte,

die Reihe der Elternabende im Rahmen des SAFE®-Krippen-Programms 2015 in Erfurt (finanziert durch die Bundesinitiative Frühe Hilfen) ist gut angelaufen. In knapp 1 ½ Stunden vermittele ich den Eltern und dem Team der Kita grundlegendes Wissen zu einer kindgerechten Eingewöhnung und Betreuung in den ersten 3 Lebensjahren sowie deren nicht zu unterschätzende Bedeutung für alle folgenden Entwicklungsphasen im Leben von Kindern. Laut der Rückmeldungen gelingt mir das auch sehr gut, siehe Postkarten-Feedback weiter unten.

Sie haben Interesse an einem solchen Elternabend? Gerne komme ich auch in Ihre Kita, schreiben Sie mich einfach an: anke.weismantel@reha-psych.de

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Krippe im ersten Lebensjahr? – Nein!

Kurzmitteilung

Bindungsforscherin und Leiterin des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik, Fabienne Becker-Stoll im Interview mit der FAZ

Ein Interview mit dem meine fachlich Sicht sehr übereinstimmt.

„Wie viel und welche Betreuung ist gut für mein Kind? Bildungsforscherin Fabienne Becker-Stoll erklärt Eltern, worauf sie achten sollten – und wie es um die Qualität deutscher Kitas bestellt ist.“

Hier eine kleine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen und Zitate:

  • 80% der Einrichtungen in Deutschland sind nur von mittelmäßiger Qualität.
  • Worauf Eltern z.B. achten sollten ist eine standardmäßig 4 bis 6wöchige Eingewöhnung
  • Eine gute Krippe / KITA erkennt man daran, dass „es ruhig und entspannt ist. Dass keine Kinder weinen, ohne getröstet zu werden. Die Kinder werden angelächelt. Und wenn ein Kind vormittags müde wird und eine Pause braucht, kriegt es die auch.“
  • In 1/3 der Einrichtungen gelingt es auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder liebevoll und prompt und angemessen zu reagieren = Qualitätskriterium!
  • Das ist die Voraussetzung für Bildung und Lernen, was in diesem Alter aber nur möglich ist, wenn das Kind sich in einer emotionalen Beziehung geborgen fühlt.
  • Übrigens kann es einem Kind nur so gut gehen wie seiner Bezugsperson!
  • „Der Punkt ist, dass Eltern ihr Kind rausholen müssen, wenn sie merken, dass die körperlichen und seelischen Grundbedürfnisse ihres Kindes in der Kita nicht beantwortet werden. Wenn die Abläufe nicht an den kindlichen Bedürfnissen ausgerichtet sind. Wenn es keine Bezugspersonen gibt, keine Eingewöhnung. Wenn man dort Kinder weinen lässt, dann ist das Alarmstufe rot. Dann müssen Eltern eine andere Betreuungslösung suchen. Auf keinen Fall: Augen zu und durch. Die Verletzbarkeit der Kinder in diesen ersten drei Lebensjahren ist einfach zu groß.“
  • „Das ist das vielleicht wichtigste Ergebnis unserer großen Qualitätsstudie: Kinder mit Migrationshintergrund brauchen exzellente Einrichtungen, um sich gut zu entwickeln. Bevor sie eine schlechte oder mittelmäßige Kita besuchen, bleiben sie besser zu Hause.“

Link zum Artikel

Fachtag „Billige Kitas mit bester Qualität“ in Erfurt

Fachtagung „Billige Kitas mit bester Qualität?“ – wie ich sie erlebt habe

Diese Dokumentation habe ich nach der heutigen Tagung als meine Abendbeschäftigung angefertigt und da der Tag auch nach der Veranstaltung weiterging und mit Familienleben auch recht lange war, bitte ich die Unvollkommenheit des Textes zu entschuldigen. Ich wollte es heute noch abschließen, das war das erklärte Ziel und das habe ich geschafft. Es gilt der allseits beliebte Spruch: Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. Das gleiche gilt für Ausdruck und Zeichensetzung. Worauf ich jedoch viel Wert lege, dass ist die grundsätzliche Richtigkeit meiner Aussagen. Falls ich hier etwas falsch zitiert haben sollte, oder etwas in falschen Zusammenhang gebracht haben sollte, bitte ich um Rückmeldung und um Entschuldigung! Gerne bin ich auch bereit, Ihre persönlichen Dokumentationen aus z.B. den anderen Workshops hier einzufügen. Und noch ein letzter Hinweis: Kritik nehme ich persönlich, und zwar als persönliches Geschenk! Nutzen Sie die Kommentarfunktion dieser Seite – sie dürfen gerne dazuschreiben, ob Sie eine Veröffentlichung zustimmen, oder ob das Geschriebene nur für mich bestimmt ist.

Wer sich für ein persönliches Statement von mir interessiert, muss sich leider noch wenig gedulden.

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Die Moderation des Tages übernahm Bettina Löbl, Vorsitzende des TLfK e.V.. In ihren Ausführungen betonte sie unter anderem, dass der Thüringer Betreuungsschlüssel aktuell gut sei und Herr Minister Matschie stimmte ihr deutlich nickend zu. Nur im internationalen Vergleich fehle es vielleicht noch ein bisschen, fügte Frau Löbl an.

Im Anschluss betonte Herr Minister Matschie die entscheidende Bedeutung des öffentlichen Drucks durch das Volksbegehren, welches die Umsetzung des KitaG 2010 erst möglich gemacht habe. Trotzdem dürfe man sich nicht zurücklehnen! Man müsse im Gegenteil die weitere Verbesserung vorantreiben und er sieht hierfür folgende Hierarchie auf: 1. Ein ausreichendes Angebot müsse für die Eltern geschaffen werden [ausreichendes Platzangebot]. 2. Die Erzieher müssten nach Tarif bezahlt werden. 3. Die baulichen Standards müssten geschaffen werden und zuletzt (4.) könne man die Kita-Gebühren reduzieren. Herr Matschie betonte zudem, dass es frühkindliche Bildung nicht zum Nulltarif geben könne. Wir müssten unser System weiterentwickeln und besser machen und die Mitsprache der Eltern, sei eine wichtige Qualitätskontrolle für das Kita-System.

Studie Praxis Nov KitaG

Dr. Keikenbom, Geschäftsführer der Aproxima – Sozialforschung, stellte die Studie „Ein Blick in die Praxis nach der Novellierung des Thüringer KitaG 2010“ vor. Diese qualitative Studie stelle den Ist-Stand aus dem Blick der ErzieherInnen dar und welche Erfahrungen sie mit dem neuen Gesetz haben machen können. Einige der von ihm beschriebenen Probleme möchte ich hier nennen: Da wären insbesondere die strukturellen Probleme der Raumgestaltung, der fehlende Personalpuffer und damit der Wunsch mehr Zeit zu haben, der überall genannt worden sei, zu nennen. Zudem sei es fast unmöglich Dienstpläne und Arbeitsstunden mit der dünnen Personaldecke zu planen. Insgesamt würde eine große Belastung der Mitarbeiter zurückgemeldet. Leider erschloss es sich mir aus meinen Aufzeichnungen nicht mehr exakt in welchem Zusammenhang der folgende Satz stand: „Die Kinder unter drei Jahren müssen ein Stück weit vernachlässigt werden.“ Vielleicht hat jemand hier vollständige Aufzeichnungen und kann den Satz in einen logischen Zusammenhang bringen. Dafür wäre ich sehr dankbar!

Weiter führte Herr Keikenbom aus, dass bei Erziehern viel mehr als früher Mediationsfähigkeiten gefragt seien, die oft fehlten. Der Beratungsbedarf sei insgesamt gestiegen und oft würden viele Individualwünsche an die Fachkräfte gestellt. Dies müsse in der Weiterbildung eine größere Rolle spielen, da z.B. gerade die Tür- und Angelgespräche von besonderer Bedeutung für die Elternarbeit seien.

Das Thema Inklusion wurde ebenfalls behandelt, wobei die wichtige Grundlage, nämlich eine gewisse moralische Verfasstheit der Gesellschaft Erwähnung fand, auch wenn diese nicht in der Studie aufgegriffen wurde. Auch in diesem Bereich seien die fachlichen Fähigkeiten der Pädagogen nicht ausreichend, obwohl Integration und Inklusion heuten jeden träfen.

Zusammenfassend stellt Herr Keikenbom fest, dass die Herausforderungen an die Erzieher sehr groß seien. Insbesondere im ersten und zweiten Lebensjahr und im Bereich des gestiegenen Beratungsaufwandes in der Elternarbeit (Mediationskompetenz). Bildung beginne in den frühkindlichen Entwicklungsphasen.

Hier ist die komplette Studie zu finden: http://library.fes.de/pdf-files/bueros/erfurt/09820.pdf

Peter Häusler

Der nächste Redner war Peter Häusler vom TLfK e.V., der als Vertretung für Herrn Brychcy eingesprungen war und für dessen Redebeitrag ich äußerst dankbar bin. Beruflich sei er mitverantwortlich für das Gelingen von Investitionen als Qualitätsmanager in der Industrie. Dies lasse ihn natürlich auch mit einem wirtschaftlichen Blick auf die Kitas schauen. Wichtig beim Qualitätsmanagement sei vor allem die Identifikation der Rahmenbedingungen, die geschaffen werden müssten. Es müsse uns zunächst erst einmal klar werden, was wir wollen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sei da an erster Stelle genannt. Sie sei eine Forderung, die nicht zuletzt aus der Deutschen Wirtschaft komme. Des Weiteren sollten Kitas die Eltern bei ihrer Erziehungsleistung unterstützen, es also nicht schlechter machen, als es die Eltern selbst tun. Zum dritten und wichtigsten Punkt führte er das Problem der überforderten Eltern an. Es existiere kein einheitliches Wertesystem mehr in unserer Gesellschaft. Verunsicherte Eltern hätten verunsicherte Kinder, was durch die Erzieher aufgefangen und gemanagt werden müsse. Insbesondere Kinder aus Familien mit psychisch oder suchtkranken Eltern seien oft bindungsunfähig und Erzieher müssten in die Lage versetzt werden, damit umzugehen! Sie müssten in der Lage sein, mit diesen Kindern in Beziehung zu treten! Herr Häusler stellte noch einmal die Frage in den Raum, welche Rahmenbedingungen wir brauchen. Er wünsche sich solche Diskussionen in einem größeren Rahmen hier in Thüringen und er wünsche sich mehr Kommunalpolitiker, die sich mit der Thematik beschäftigten. Erst wenn man die Rahmenbedingungen kenne, erst wenn man die Anforderungen kenne, könne man investieren und nicht umgekehrt. Investitionen, die ohne die Kenntnis der Anforderungen getätigt würden, nenne man in der Wirtschaft dann zumeist Fehlinvestitionen.

Auszüge aus den Berichten der Workshops

Workshop 1: Rechtsanspruch, Wunsch oder Wahlrecht – Hirngespinst oder Realität?

Das Gesetz sei an vielen Stellen suboptimal. Es würden z.B. Langzeiterkrankungen wurden beklagt. Dies würde keine Berücksichtigung in der Personalplanung finden, was jedoch nicht gesetzeskonform sei. Die Personalausstattung müsse höher sein. Die Gruppengrößen seien zudem im Gesetz leider nicht geregelt. Es käme vor, dass 20 und mehr Kinder einschließlich Kleinkinder in einer Gruppe betreut würden. Auch sei die Betreuung durch Tagesmütter nicht im Gesetz geregelt.

Workshop 2: Schluss mit Gebührendickicht und überzogenen Kitagebühren – sind gebührenfreie Kita’s eine unterstützenswerte Forderung?

Ja, aber die mind. Qualitätsstandards müssten gesichert und gehalten werden. Die Forderung einer kostenfreien Kita sei eher plakativ zu verstehen. Das Fachkräftegebot: gute Bezahlung nach TVÖD sei die notwendige Wertschätzung und 70% der Träger würden 10% unter TVÖD zahlen. Wörtliches Zitat: „Warum müssen wir (Eltern) darum betteln, dass Erzieher angemessen bezahlt werden?“, Vision: Gebührenfreiheit.

Workshop 4: ElternMitWirkung – wenn Eltern mehr als nur Kuchen backen wollen

Als Hauptproblem wurde hier die Kommunikation herausgearbeitet. Des Weiteren wurde auch hier der Betreuungsschlüssel thematisiert und eine sehr eindringliche Andeutung gemacht, dass in diesem Workshop äußerst „schwierige Berichte“ aus der Praxis dargelegt wurden, denen dringend nachgegangen werden müsse [Einzelfälle?!].

Workshop 5: Inklusion auf Teufel komm raus – Fluch oder Segen

Die Rückmeldung auch hier: Fehlende gut ausgebildete Fachkräfte, aber ein Problembewusstsein dafür.

Workshop 6: Wozu ausgebildete Fachkräfte in Kitas und warum so viele?

– Schlechte Ausbildung an den Fachschulen, die zum Teil „jeden Schüler durchziehen“ aus finanziellen Gründen; fehlendes Praktikum am Anfang der Ausbildung, wodurch keine Eignungsprüfung stattfinden kann; Vorschlag: Fachkräfte aus der Praxis als Lehrende an die Schulen, wobei das kaum umsetzbar sei.

– Personalmangel bei der Praxisbetreuung der Auszubildenden

– Weiterbildungsveranstaltungen seien oft „Bummiveranstaltungen“ [qualitativ minderwertig, warum wird das so hingenommen? Qualiätsmanagement?]

– Kompetenzweitergabe und Kompetenzgefälle: Fehlender fachlicher Austausch der Kitas.

– Konflikte im Team werden auf den Rücken der Kinder ausgetragen. Fehlende Angebote von Supervision?!

– Personalausstattung ist noch nicht ausreichend

– Krankenstand, insbesondere Langzeitausfälle werden nicht durch die Träger abgefangen (nicht gesetzeskonform), obwohl der Schlüssel im Schnitt immer eingehalten werden müsse. Hinweis auf die Möglichkeit der Überforderungsanzeige

– Die Mindestpersonalbesetzung wird zur Normalität. Das Personal müsse ständig nachreguliert werden, was im schlimmsten Fall einen ständigen Betreuungswechsel bei den Kindern zur Folge hätte, da wird’s „kriminell“

– Kritik an der Landesfachberatung: Diese käme aus dem Schulbereich und nicht aus der Kita. Konzeptionen würden nur auf dem Papier geprüft.

Teilnahme am Workshop 7: Familienförderung und Elternbildung – vernachlässigt, überflüssig oder überfällig?

Denny Möller JHA-Vorsitzender Erfurt, Prof. M. Rißmann (FH-Erfurt), R. Schmack-Siebenlist-Hinkel (Kuratorin der Stiftung Familiensinn)

Prof. Rißmann führte kurz einleitend aus, dass Eltern heute sehr viel mehr unter Druck stünden und verunsichert seien. Sie seien einer hohen Belastung ausgesetzt und litten selbst unter Zeitnot bei der Erziehung, laut Familienreport 2010. Insgesamt sei der Soziale Wandel der letzten 20-30 Jahre rücksichtslos gegen die Eltern gewesen, dies sei eine Tatsache! Eltern hätten jedoch ein großes Vertrauen in die Kitas, weswegen schwierige Eltern nun dort abgeholt werden sollen. Frau Prof. Rißmann erläuterte kurz ihr eigenes Projekt, die „Eltern-Kind-Zentren“, was aller Voraussicht nach wohl aber leider nur ein Modellprojekt bleiben wird. Insgesamt wurde beklagt, dass es gute Konzepte, Weiterbildungen und Modelle für den Bereich der Familienförderung und Elternarbeit gäbe, die jedoch kaum bekannt seien, bzw. nirgends zentral zur Verfügung stünden. Frau Schmack-Siebenlist-Hinkel machte hierbei das konkrete Angebot, auf der Homepage der Stiftung Familiensinn unter Wissenswertes einen Pool von guten Angeboten anzulegen. Jeder, der ein Angebot, eine Weiterbildung etc. empfehlen könne, sei aufgefordert die Information per Email oder auch per Telefon an die Stiftung weiterzugeben. Zusätzlich wurde aber der Wunsch nach einer Fachtagung zur ausführlichen Vorstellung solcher Ansätze deutlich. Einige Beispiele für gute Ansätze seien hierbei „Parents as Teacher“, „Marte Meo“ [sehr ähnlich dem SAFE-Ansatz] und die Ausbildung zum „Elternberater“. Insbesondere die Ausbildung zum Elternberater sei wegen des großen Selbsterfahrungsanteils sehr beliebt und bereichernd für Kitas. Sehr schnell wurde auch deutlich, dass aber der Transfer in die Arbeit, die Überführung in die Normalität ein großes Problem darstellt, da eine einzige fortgebildete Erzieherin hierfür nicht ausreiche. Insgesamt fehle es an der Zeit und den Ressourcen in den Einrichtungen, um adäquate Weiterbildungen flächendeckend zu gewährleisten. Dass Erzieher selbst zahlten und die Veranstaltungen in ihrer Freizeit besuchten, sei kein akzeptabler Zustand, jedoch vielerorts Realität. Weiterhin könnten auch gut ausgebildete Erzieher den Anforderungen an die Elternarbeit, der im Bildungsplan festgeschrieben sei, nämlich als das Eingehen einer Erziehungspartnerschaft mit den Eltern nicht erfüllen, da ihnen schlichtweg die Zeit dafür fehle.

Zusammenfassung Workshop 7 und Ende der Veranstaltung

Angebote seien im Land nicht ausreichend bekannt. Keine Verstetigung guter Angebote, sondern meist nur Projektcharakter. Denny Möller nutzte die Gunst der Stunde und appellierte an die Fachkräfte in den Einrichtungen, sich nicht auf das Engagement von Eltern oder Politik zu verlassen, da diese nur bis zu einem gewissen Grade und aus eigenen Beweggründen für sie eintreten würden. Die einzigen, die die notwendigen Verbesserungen an der Situation der ErzieherInnen bewirken könnten seien sie selbst. Er empfahl dringend, sich in Gewerkschaften oder anderweitig zu vernetzen und sich für das eigene Wohl zu engagieren! Dies kann ich nur eindringlich unterstützen!

 

Kindheit im Leistungswahn

SWR2 Radio-Podcast:

Zitat: „Wenn Eltern ihren Kindern eine anregende Umgebung bieten, begünstigt das die kindliche Entwicklung. Immer häufiger aber, so scheint es, übertreiben Eltern es heute mit ihrem Ehrgeiz. Sie verplanen ihre Kinder mit Kursen und versuchen, die schulische Laufbahn zu kontrollieren. Doch zu viel Leistungsdruck kann Kindern schaden. Ob Sport, Musik oder Sprachkurse für Dreijährige: Zu viele Anregungen im Kleinkind-Alter sowie andauernder chronischer Leistungsstress können sogar zu kognitiven und psychischen Langzeitschäden führen. Besonders gefährlich wird es, wenn Eltern ihre Liebe und Zuwendung an Leistung knüpfen.“

Ein toller Beitrag, in dem sehr eindrücklich erklärt wird, warum zu viel „Förderung“ das Gegenteil bewirken und sogar große Schäden verursachen kann. Wie es Eltern besser machen können erklären Dr. Brisch und Prof. Hüther:

Dem Kind eine sichere Bindung ermöglichen, da das hierdurch geschaffene Urvertrauen das „Fundament der Persönlichkeit“ bildet. Außerdem ist es sinnvoll die Kinder selbst zum Akteur des eigenen Lernprozesses werden zu lassen, damit sie den zukünftigen Anforderungen in unserer Gesellschaft was z.B. Kreativität angeht gewachsen sein werden.

Link zum Beitrag

Vortrag „Lernen“ Prof. Struck

Ich habe versucht den Vortrag so wortwörtlich wie möglich wiederzugeben, was mir zum größten Teil vermutlich auch gut gelungen ist. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es sich hier um die Aussagen von Herrn Struck und nicht um mein Gedankengut handelt. Zu einigen Aussagen habe ich eigene Kommentare in eckige Klammern gemacht.

Wer die Mitschrift als PDF downloaden möchte, kann dies hier tun: Prof. Struck „Lernen“ Erfurt, Nov 2013

 

Vortrag des Erziehungswissenschaftlers
Prof. Dr. Peter Struck (Universität Hamburg)

Individualisierung und Rhythmisierung des Lernens

DASDIE Erfurt, 11.11.2013 | Veranstalter: AKTIV-SCHULE Erfurt

Einleitung:

Kinder leben in vier Lebenswelten: Das sind Familie, Schule, Medienlandschaft und die Jugendkultur. Drei dieser Lebenswelten haben sich in den letzten 60 Jahren rasend schnell verändert, eine nicht und das ist die Schule!

Familie

Die Familie ist von „Familienzerfall“ betroffen. Es gibt 19 beschriebene verschiedene gelebte Familienmodelle in Deutschland.

Die Effekte sind folgende:

  • ca. 15% der Deutschen Kinder werden von ihren Eltern „verplant“. Die Eltern haben eine Übererwartung an ihre Kinder. Solche Kinder sind gezwungen Entwicklungsstufen zu überspringen und stoßen dennoch ständig auf enttäuschte Gesichter. Kinder mit solchen Erfahrungen haben das höchste Risiko einmal in die Drogenszene abzurutschen, da sie mit Hilfe von Drogen versuchen den Übererwartungen zu entfliehen.
  • ca. weitere 15% der deutschen Kinder werden von den Eltern als störend empfunden.
  • die übrigen ca. 70% der Deutschen Kinder:

a)      10% werden einigermaßen gut erzogen, was sich jedoch erst mit 19 Jahren beurteilen lässt! Erst dann wissen wir, ob wir es richtig gemacht haben.

b)      60% werden von ihren Eltern zwar geliebt und die Eltern wollen es richtig machen, aber sie wissen nicht wie es geht. Eine Zahl: 30 Milliarden Euro werden hierzulande für Erziehungsratgeber und Zeitschriften ausgegeben! Leider nur verwirren die dort gegebenen gegensätzlichen Empfehlungen nur.

Jugendgeneration

Heute umfasst eine Jugendgeneration ca. 2,5 Geburtsjahrgänge. Vor 50 Jahre waren es noch 7 Geburtsjahrgänge, deren Freizeitverhalten, Musikgeschmack (z.B. Elvis) etc. nahezu identisch waren. Das heißt, Lehrer müssen sich viel häufiger als früher auf eine ganz neue komplett andere Jugendkultur einstellen.

Schule

Die Schule hat sich am wenigsten verändert. Die aktuelle PISA-Studie zeigt aber, dass 5000 Schulen in Deutschland in der Zukunft angekommen sind und etwas anders machen! Davon sind ca. die Hälfte Privatschulen (3000 Privatschulen insgesamt, davon sind 2500 Schulen leistungsstark). In Flensburg gibt es im Gegensatz zum Rest der
Republik mehr Privatschulen als Staatliche Schulen, dies liegt an der geografischen Nähe zu Schweden. Die Eltern haben nach Schweden geschaut und daraufhin Elterninitiativen gegründet. In den Niederlanden sind 78% der Schulen Privatschulen, diese werden dort aber staatlich bezahlt. Von den deutschen staatlichen Schulen sind auch 2500 Schulen in der Zukunft angekommen. Die beste Schule Deutschlands ist die Jena-Plan-Schule.

Was sagen uns die Hirnforscher über das Lernen?

UECD-Studie: Man hat 15jährige deutsche Schüler gefragt, ob sie studieren möchten. Nicht mal jeder 5. möchte einmal studieren! In den meisten anderen Ländern sind es wesentlich mehr.

Schulkritik:

  • Die Jungen werden behandelt als wären sie Mädchen
  • Wir behandeln Jungen, als wären sie dumm
  • Das Können ist längst wichtiger als das Wissen! => die Industrien und      Konzerne beschweren sich über die Schulabgänger.

Schlüsselqualifikationen, die unsere Kinder auf dem Arbeitsmarkt brauchen werden:

  1. Selbstständigkeit
  2. Team- bzw. Kooperationsfähigkeit
  3. Erkundungskompetenz
  4. Handlungskompetenz
  5. Konfliktfähigkeit
  6. Kreativität / Musische Kompetenzen
  7. Flexibilität
  8. Toleranz
  9. Fähigkeit zum vernetzten Denken
  10. Kommunikationsfähigkeit
  11. Emotionale Kompetenzen

[Kommentar: Die Grundlage dieser Schlüsselqualifikationen werden nicht erst in der Schule gelegt! Die Bindungsforschung zeigt deutlich, dass bereits innerhalb der ersten Lebensjahre die Weichen für alle diese Schlüsselkompetenzen gestellt werden! Hier können Eltern und KITA Wesentliches für ihr Kind bewirken!]

Zu Friedrich Schillers Zeiten wurden Kinder jahrgangsunterschiedlich unterrichtet. Damals meldeten die Eltern ihre Kinder irgendwann in den Schulen an und alle Kinder unterschiedlichen Alters lernten gemeinsam. Dann wurde die Schule preußisch und die Kinder wurden nach Größe, also nach Jahrgängen zusammengefasst.

Was passiert in der „Primaria“, der besten Schule der Welt

In Sankt Gallen in der Schweiz ist die beste Schule der Welt. Die „Primaria“. 4-8jährige Kinder gehen alle in einer Klasse. Es gibt in dieser Schule auch nur zwei Klassen! Jedes Kind entscheidet alleine, ob es in die nächste Klasse möchte. In dieser Schule haben die Lehrer nicht viel zu tun, denn die Kinder sind mit Lernen beschäftigt.

Die Kinder dieser Schule lernen voneinander, also jahrgangsübergreifend und mit 4-5 Mal so vielen Materialen, wie es aktuell so üblich ist. Die Lehrer wenden sich dort nur den Kindern zu, die Schwierigkeiten mit dem Stoff haben, oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen.

Die beste Schule der USA ist „Fairheaven“. Sie ist eine Schule für Schulverweigerer! Das Schulmotto:
Schüler können nur dann Lernen, wenn sie das was sie lernen sollen, auch wollen!

Wie gelingt Lernen?

Lernstoff muss mit was verknüpft sein, sonst gelingt es nicht [siehe auch weiter unten]

  • Motivation = Zukunft
  • Lächeln
  • Rhythmus, Singen
  • Bewegung

Gehirnforschung: Wenn Kinder beim Lernen Kaugummi kauen, ist der Kopf besser durchblutet. Die Primaria-Schule stellt ihren Kindern in großen Schüsseln Kaugummis zur Verfügung.

Die Primaria ist eine Ganztagsschule. Am Tagesende vermerken die Kinder in ihrem Portfolio, was sie am Tag geschafft haben.

„Ich kann nicht verantworten, dass du nie etwas schreibst.“ Je Mehr Freiheit man den Kindern gibt, desto mehr Kontrolle muss man auch haben. Hierzu dient das Portfolio. In diesem Portfolio werden Wochenpläne mit den Kindern erarbeitet. Die Ausgangsfrage lautet: „Wie wollt ihr lernen?“ Das muss mit dem Kind erarbeitet werden!

Nur 30% der Kinder in der Primaria haben Schweizerdeutsch als Muttersprache: 70% der Kinder haben eine andere Sprache! Bis zum 10. Lebensjahr klappt der Spracherwerb problemlos! Ab dem 11. Lebensjahr steht im Gehirn nur noch Kapazität für das bisher gelernte zur Verfügung. Es gibt keine Kapazität mehr für ganz neues, wie eine neue Sprache! => Auf den Anfang kommt es an.

Das Geheimnis der Primara ist Spielen und Lernen in altersgemischten Gruppen, ab dem 4. Lebensjahr!

Aus dem Film: „Kinder, Kinder“ (Doku über die Primaria):

  • Jedes Kind entscheidet selbst, wann es in die Schule gehen will.
  • Jeder entscheidet selbst, was er lernen möchte.
  • Weil die Altersmischung so groß ist, entwickelt sich das Lernen und die      Interessen von selbst!

=> Kinder, die nicht lernen wollen, gibt es nicht!

Auf die Sorge: „Mein Kind würde ohne Zwang nie lernen, sondern nur auf Bäume klettern“, wird von der Rektorin geantwortet: „Wenn ich die Wahl habe und ich jederzeit auf den Baum klettern kann, dann will ich das nicht mehr.“

Struktur des Tages: Morgenstunden in Lern-Atelier, nachmittags gibt es spezielle Angebote

Was macht eine gute Schule aus?

  • Gute Schulen sind nicht aufgrund einer Regierung gut: Die Sonne geht immer von unten auf, nie von oben! [Eltern, ihr, WIR sind gefragt!]
  • Gute Schulen bekommen nicht unbedingt mehr Geld
  • Starke Schulleiterpersönlichkeit, meist Frauen über 50
  • Konsens im Kollegium => alle ziehen an einem Strang (nur die Privatschulen können sich ihre Lehrer aussuchen)
  • Profil/Schulprogramm/Schwerpunkt => welches ist egal, aber eine Schule muss so etwas haben (Musisch, mehrere Fächer werden in einer Fremdsprache unterrichtet, Sportgymnasium etc.)
  • Enge Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern
  • Heruntergespielte Bedeutung der Noten => haben eine nicht so große Bedeutung, wenn es sie denn gibt.
  • Ganztagsschule
  • Rhythmisierte Schule => Wechsel von An- und Entspannung beim Lernen (gebundene Ganztagsschulen) Keinen 45min Takt!
  • Individualisierung: hohes Maß an Individualisierung => z.B. jeder Schüler hat einen anderen Stundenplan als der nächste
  • Erhöhte Integration (z.B. flexibilisierte Eingangsphase, ab 30% Migranten deutlich bessere Lernergebnisse, als nur Deutsche Kinder! Zwei Behinderte auf 18 Kinder, in zwei Räumen mit zwei Lehrern + eine Integrationshilfe für die Schwachen!)
  • Gute Schulen haben erfahrene, also ältere Lehrkräfte (Die besten Schule haben die ältesten Lehrer! Lebenserfahrung)
  • Gute Schulen machen vieles, was sie eigentlich nicht dürfen – der wichtigste Satz! (den Mut haben im allgemeinen nur Frauen über 50! – Schulleiterinnen)

Warum es nicht für alle gelingen kann: Wir brauchen 5x soviel Sonderlehrer als heute! Die will man nicht bezahlen.

Außenkennzeichen für eine „Gute Schule“:

  • Es wird extrem viel gelernt
  • Schüler und Lehrer fühlen sich sehr wohl
  • Mehr Anmeldungen als Plätze

„Die besten Schulen schauen nicht in die Lehrpläne!“ Warum? Darum:

Das Wissen ist normaler Weise nach 6 Wochen wieder weg, wenn es ein „durchschnittlicher Reiz“ war. Das ist Absicht, denn sonst wäre die Gehirn-Festplatte schnell überfüllt. Wenn es kein durchschnittlicher Reiz ist, bleibt es aber hängen. Denken Sie an überdurchschnittliche  Reize wie das Fassen auf eine glühende Herdplatte, oder das Wiedererkennen eines Menschen in den ich mich auf den ersten Blick verliebt habe, das vergesse ich nie wieder.

Wie Wissen hängen bleibt: Entweder ich muss es 6x Widerholen oder 6 Sinne mit dazu nehmen = Szenisches Lernen! Singen, Sprechen, Tanzen etc.

Das Können bleibt uns für immer erhalten, das Wissen ist nach 6 Wochen wieder weg! Sie können 30 Jahre nicht auf einem Fahrrad gesessen haben, steigen auf und können Fahren.

Warum es nicht haufenweise gute Schulen gibt?

Der Zukunftsforscher Gottlieb D. hat einmal gesagt, dass die Krise so groß werden muss, dass es nicht mehr anders geht, bevor es wir etwas ändern.

Erst wenn die Lehrer kein Bein mehr auf den Boden bekommen, wird sich etwas bewegen!

Wodurch lernen Kinder am meisten?

Durch nichts lernen Kinder mehr als durch Rollen- und Theaterspiel. Da lernt man Selbstbewusstsein! Bei gleicher Intelligenz lernen Kinder mit großem Selbstwert doppelt so viel, als welche mit geringem Selbstwert. Kinder mit geringem Selbstwert müssen in ihrem Leben viele Beschämungen und Niederlagen erleben.

 Was man nicht in der Zeitung liest:

1. Trennung nach der 4. Klasse:
Schulen, die schon in der 4. Klasse aufhören haben den großen Nachteil, dass die Lehrer keine Verantwortung für die weitere Schulkarriere bis zum Abitur der Kinder übernehmen müssen. In den weiterführenden Schulen können Lehrer Kinder zudem sitzen lassen, um sie loszuwerden. In Ländern, wo keine Selektion geschieht, wissen die Lehrer, dass sie ein Kind niemals loswerden können, sie MÜSSEN sich mit jedem Kind Mühe geben.

Entwicklungspsychologen:
In keinem Alter brauchen Kinder so umfassend nötig zwei kontinuierliche Bezugspersonen (am besten Frau und Mann) außerhalb des Elternhauses als zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr! Genau da reißen wir sie nach der 4. Klasse auseinander!

2. Einschulungsalter:
Würde man Kinder zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr einschulen, hätte man wesentlich weniger Probleme! Kinder in diesem Alter lernen über Rituale. Da muss man nichts erklären. Kindern in diesem Alter wird das Ritual erst dann bewusst, wenn es mal ausbleibt.

3. Schulen brauchen ein Motto:

Filmausschnitt zur Schule: Kleine Kielstraße, Dortmund Nord

  • 80% der Kinder sind aus Migrantenfamilien!
  • Die Schule hat viel zu kleine Klassenzimmer
  • ABER DIESE Schule hat den Schulpreis gewonnen!

Schulen brauchen ein Motto! Das Motto dieser Schule:
„Alle Kinder dieser Welt sind voneinander verschieden, immer und überall.“

Was die Schule „Kleine Kielstraße“ ausmacht:

  • Körperhaltung darf frei gewählt werden
  • Den Kindern obliegt die freie Entscheidung darüber wie, wann und was sie lernen wollen => Die Kindern dürfen ihren Wochenplan selbst bestimmen
  • Es werden keine Lehrpläne herangezogen
  • Ständiges Rollen- und Theaterspiel
  • Der ganze Tag ist durchzogen von Singen und Musikmachen
  • In der Schule werden 5x so viele Materialen verwendet, als üblich
  • „Snoezelen“ => 6 Sinne werden gleichzeitig angesprochen: jeder darf 3min in das Wasserbett (Farben, Töne, Klänge) danach kann man 4x so gut Lernen, als vorher! => Ernorme Erhöhung des Rhythmisierung des Wechsels => Wechsel von An- und Entspannung. Man muss damit aber früh anfangen, im Alter von 5 Jahren!

Bei guten Schulen geht es nie um Rezepte!

Die Schule versucht die Kinder in Schlüsselfähigkeiten zu qualifizieren.

Jedes Kind muss sich „etwas“ anstrengen, um sein Wochenziel zu erreichen. [Kommentar speziell für Teilnehmer meiner Fortbildungen zum Thema Bindung, Psychotraumatologie: „etwas“ anstrengen bedeutet, Anforderungen am oberen Rand des Stresstoleranzfensters zu erzeugen, bzw. noch besser: die Kinder diese Anforderungen selbst erzeugen lassen.]

Defizite von Deutschland und Österreich

Berechtigte Kritik durch PISA

a) Belehrungsanstalten: Schüler sollen durch Zuhören Lernen (nur 10% des Gehirns ist für Hören da) 1/3 ist für visuelle Reize zuständig (Über visuelle Reize zu Lernen geht 3x so gut, als Lernen über Zuhören)

b) Übertriebene Beschämungskultur! Niederlagen! [Selbstwertdemontierung]
Fatal für die Deutschen Jungen: Die Mädchen werden immer besser, die Jungs immer schlechter, viel rote Tinte, sitzen lassen etc.; „Ab Klasse 4 gehen alle anderen ins Gymi“. Trennungskultur! Trennung immer dann, wenn Bindung so wichtig ist. Sitzen lassen. [Ein Grundproblem unserer Gesellschaft – Bindungsunsicherheit]

Ein Gymnasiallehrer kann jemanden immer loswerden! Ein Finnischer Lehrer weiß, dass er einen Schüler nie wieder los werden wird! Das macht eine ganz andere Motivation! Er muss sich auf das Kind einstellen.

c) Falsche Fehlerkultur => Der Fehler ist kein Übel! (Preußisches Denken = Fehler sind schlecht) Fehler und Probleme sind Freunde beim Lernen! Die Hirnforscher und Lernpsychologen: Für alle Menschen gilt: Wir werden am Besten durch Handeln, Fehler machen und nebenbei Lernen.

Es gibt einen dramatischen geschlechtsspezifischen Unterschied:

  • 60%      aller Mädchen und Frauen können durch Handeln, Fehlermachen und nebenbei      Lernen gut Lernen.
  • 40%      aller Mädchen und Frauen können zur Not durch Lesen, Gucken etc. Lernen
  • 90%      der Jungen können gut Lernen durch Handeln, Fehlermachen und nebenbei Lernen.
  • Nur 10% der Jungen können durch Lesen, Zuhören und Sehen zur Not Lernen.

=> Eine Schule fördert indirekt die Mädchen!

In den 60er Jahren konnte man das noch nicht wissen

Noten

In Norwegen und Schweden beginnen die Noten in Klasse 9.

In Finnland schon ab Klasse 7 – das ist viel zu früh!

Bis zum 13. Lebensjahr darf man Kindern keine Noten geben, das hat was mit der Pubertät zu tun. Ein 8jähriger lernt ausschließlich für Noten. Einem 14jährigen muss man Noten geben, denn er weiß dass es etwas mit ihm und seinem Lernen zu tun hat.

Wenn die Noten ab der Klasse 1 gegeben werden, dann wird die Zukunft unserer Gesellschaft komplett weiblich werden! Das sagen Hirnsforscher und Lernpsychologen.

 So speichern wir Wissen:

  • 10% durch Lesen – Deutsche Schule
  • 20% durch Hören – Deutsche Schule
  • 30% durch sehen – Deutsche Schule
  • 50% durch Sehen und Hören => z.B. Fernsehen! Wenn ein 9jähriger einen Heinz Sielmann Film sieht, ist das durchaus was Gutes
  • 80% durch selber Sagen => 4x so viel wie durch Sehen und Hören.
  • 90% durch selber Tun – HANDELN!

Es ist immer noch so, dass ein deutscher Schüler in 45min eine min spricht, im Bundesdurchschnitt! Er lernt 2min etwas sinnvoll Neues. Weitere 2min lernt er etwas, aber etwas anderes als der Lehrer wollte. Er lernt also doppelt so viel, als die Lehrerin dachte. Das obere Leistungsdrittel lernt nix neues, weil die das schon können, also 1/3 ist überfordert.

Man kann 10x so viel in einer Stunde lernen. Man lernt auch z.B.: welche Markenklamotten angesagt sind, wie man den Nebenmann ärgern kann, Mobben etc., wie man Schummelt, dass es die Lehrerin nicht merkt, Spicken etc.

Lappland: Chorsprechen als Fremdsprachenunterricht und die Kinder lösen Probleme so oft wie möglich zu zweit. Kinder erobern sich selbsthandelnd das Wissen! Kinder erklären andere Kindern was => das erklärende Kind behält von dem was es vermittelt 90%!!!!

Schüler lernen von anderen Schülern im Schnitt doppelt so viel, wie von noch so guten Erwachsenen!

Medien in den Kinderzimmern von Grundschülern (Zahlen für 8jährige Deutsche Kinder)

[habe leider nicht mehr Zahlen mitschreiben können]

  • Fernsehgerät 77%
  • Computer / Laptopp / Tablet
  • Playsattion / Spielkonsole
  • Radio Musikanlage
  • Handy, Smartphone
  • Comic
  • Bücher

Bei Sozialhilfeempfängern ist mehr als da steht.
In den neuen Bundesländern ist mehr als dort steht.
Bis auf die letzte Zeile.

Hirnforschung

  • Diese jungen Kinder haben ganz andere Hirnvernetzungen als wir Erwachsenen! Sie sind anderes vernetzt, aber nicht schlechter. Sie lernen also auch ganz anderes!
  • Sie können nicht mehr gut Zuhören (Trickfilme – Zappeln) = „Verdorbene Wahrnehmungsschwellen“! – bekannt als „Montagssyndrom“ deutscher Grundschulen). Die Dänen haben das als erste gemerkt, da die in den 90er Jahren am besten ausgestattete Kinderzimmer mit Medien hatten. ´95 sagte ein Lehrer öffentlich: „Früher konnten die Menschen anders lernen, und wie sie früher lernten führte zu Unterrichtsformen wie sie heute sind. Da sie heute nicht mehr Zuhören können, müssen sie Zuhören wieder entwickeln. Lernen durch Reden und Lernen durch Handeln ist das was uns bleibt!“ Die haben dann ihre Schulen so umgestellt und einen Preis gewonnen.
    => Die jungen Leute können nicht mehr Zuhören
  • Kinder die mit diesem Medienkonsum aufwachsen sind mit 15 Jahren in Mathe und Naturwissenschaften deutlich besser, als andere! Aber dieser Zugewinn in Mathe, Technik und Naturwissenschaften wird mit einem hohen Preis bezahlt: emotionale Defizite, Schmerzunempfindlichkeit, relative Bindungsunfähigkeit!
  • Prof. Spitzer: Diese Jungen haben eine 1/3 kleinere Hirnpartie bei Jungen, die Klavierspielen.
  • Fazit: Zwischen 12-16 Jahren, durchschnittlich 4h Killerspiele am Tag => Beziehungsunfähigkeit! Das ist eine gesellschaftliche Zeitbombe: Diese zukünftigen Väter werden nicht in der Lage sein, eine Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen!
  • Kindersoldaten im Kongo: Dasselbe passiert bei unseren Kindern! Unsere Kinder „spielen“ zwar nur Killerspiele [eigener Kommentar: aber für das Gehirn ist der Effekt derselbe!]: Belohnung, Gewaltreiche Spiele werden immer realistischer. Kleine Kinder können da kaum unterscheiden zwischen Realität und Spiel
  • Alle Menschen haben eine angeborene mittlere Aggression und eine Tötungshemmung gegenüber der eigenen Art! Wenn kleine Kinder 100.000e Male auf jemanden schießen am Bildschirm (Man kann Kinder nicht am Lernen hindern!), dann lernt das Gehirn lernt! Im Insulären Kortex => da sitzt die Aggression und Empathie, Mitleid. Bei kleinen Jungen wird durch die Aggression (Killerspiele) eine Verknüpfung zwischen Lust und Aggression erzeugt! Da ist dann kein Platz mehr für Mitleid! [vereinfacht ausgedrückt]
  • Das betrifft nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Aggression mit Leid verknüpft heißt, dort ist kein Platz mehr für Empathie => diese Opfer werden unsensibel für Gewalt!
  • Unsere Persönlichkeit ist mit 13 Jahren fertig.
  • Mit 14 Jahren kann man niemanden erziehen! Lernen kann man aber noch
  • Fazit: Ein 15jähriger Mehrfachtäter wird vor dem 13. Lebensjahr dazu gemacht!
  • Faustregel: Alles in der Erziehung braucht eine mittlere Größe
  • Umgang mit dem Bildschirm muss auch gelernt werden! Das muss begleitet werden!
    • 3 Dinge müssen dabei bedacht werden
      • Auswahl! Geometrische Spiele,
      • Dosierung: Bis zum 3. Lebensjahr nie vor dem Bildschirm
        • 3-4 Jährige 20min am Tag
        • 5-6 Jährige 30min am Tag
        • 7-8 jährige 45min am Tag
        • Danach genauso lange Bewegen / Musizieren, wie sie am Bildschirm gesessen haben
      • es braucht das Gespräch zum Einbau des Gesehene
  • Amoklauf in den USA: Ein 17jähriger schießt auf einen Menschen, bei der Gerichtsverhandlung sagt er: „Hätte ich das doch nicht 100.000 Male am Bildschirm geübt.“
  • Es ist egal was Kinder spielen: Bei jedem Spiel wird Dopamin erzeugt => Belohnungssystem. Das System wächst: Neugierde + Kreativität + Fähigkeit in kritischen Situationen Auswege zu finden. Wir hatten noch nie so neugierige Kinder und konfliktstarke Kinder => mit Noten töten wir das!
  • Durch gar nichts lernen Menschen mehr, als durch Verwirrung => diese Verwirrung muss aber in einen Erfolg einmünden!
  • Negatives Beispiel: Aufsatz eines 8jährigen, darunter eine rote 5 und 2 unangenehme Sätze => Verwirrung und ist gleichzeitig beschämt worden. Wenn das 8x passiert ist ihm klar: „Ab jetzt möchte ich mit diesem Lebensleistungsbereich nie wieder was zu tun haben!“
  • Positives Beilspiel: Präventionslehrer kriegt stundenweise Einzelkinder: 9jähriges Kind: Paradoxe Intervention => „Du bist zu blöd.“ Das Gegenteil von dem sagen was wir meinen. Das setzt natürlich voraus, dass das Kind im Grunde weiß, dass das gesagte auf das Kind nicht zutrifft.
  • Zurück zu den Kindersoldaten: Deren Aggressionen werden ausgebaut, Schuld hat definitiv die Erziehung.
  • Wenn wir nicht schon das in Kindergärten und Grundschulen das aufzeigen, dass Jubel und Aggression zu einer Verknüpfung führen
  • Die Traumata kann man therapieren, aber die Lust zu Töten bleibt bestehen
  • Alles was bis 13 Jahren etabliert wurde, lässt sich nie wieder löschen.

Filmausschnitt aus einer Reportage über Kinder-Soldaten: Thomas Elbert, Neuropsychologe: Tötungshemmung => geht über Erziehung => Sozialisation!

Was wurde seit dem Pisa-Schock besser:

  • Ganztagsschule => stärkt die Familie => geben sich am Wochenende und abends mehr Mühe mit dem Kind
  • Jahrgangsübergreifende Lernfamilien => Je mehr Jahrgänge in einem Raum, desto mehr wird gelernt! Für Lernen ist ein Jahrgang das allerungünstigste. Durch Erklären lernt man 4x so viel, als vom Zuhören
  • Flexklassen
  • Individualisierung => man weiß erst seit Kürzerem: Je intelligenter ein Kind ist, desto langsamer lernt es, je dümmer ein Kind ist, desto schneller lernt es! Der 2. wichtigste Satz vom heutigen Vortrag: Die 350.000 hochbegabten machen kaum einen Schulabschluss etc.. Die 500.000 ADS Kinder kommen kaum zum Schulabschluss. Die meisten ADS-Kinder sind hochbegabt, so um die 120 IQ. Ritalin, Medikinet => Wirkstoff Methylpenidat: Der Körper wird ruhig gestellt, der Geist bleibt wach: Nichtdroge: Kidsplus aus Japan. Heute weiß man, dass es auch nicht nötig ist. Bewegung macht zusätzliche Neurotransmitter, Bewegung ist der Schlüssel und weniger Reizüberflutung bzw.. Zappelphilippe können durch Bewegung zusätzlich Neurotransmitter zur Verfügung stellen
  • Rhythmisierung: Feinkombinierter Wechsel zwischen Konzentration und Entspannung. Bei jedem Fach ist das anders!
  • Szenisches Lernen

Was passiert mit dem Gelernten nach dem Lernen?

3 Großversuche:

  • täglich 10min Englisch am Tag! Die haben mehr gelernt, als welche, die normalen Englisch-Unterricht hatten und das bei denselben Lehrern!
  • Vokabeln Lernen: normale Lernweise 16% stehen nach 6 Wochen zur Verfügung: Wenn man mit jemandem zusammen übt: Sprechen Erzählen etc., dann potenziert sich das Wissen!
  • Wenn vor Mathe Geschichte / Englisch gelehrt wurde: bleibt Mathe kaum mehr hängen, wenn davor Sport ist bleibt das viel besser im Kopf des Schülers hängen. => Tipp für Eltern: nach dem Lernen Sport oder Musizieren etc. = 4x so viel Lernen!

 Lerneffekte alles in derselben Zeit gemessen

  • Theaterspielen / Rollenspiel, 9faches lernen als nur Zuhören.
  • Lernen durch Singen, 8fach
  • Szenisches Lernen = Lernen mit Hören, Sprechen Rhythmus, Reim Takt, Bewegung, 6fach (6 mal so viele Vokabeln die 6 mal so lange hängen bleiben!): man verlässt die Schulbank: Erfahren den Stoff auf unterschiedlichem Weg => Verinnern den Stoff intensiver…
  • Lernen durch Chorsprechen, 5faches lernen
  • Lernen durch Erklären untereinander, 4fach (der der es erzählt bekommt lernt doppelt soviel, weil er von einem Mitschüler lernt)
  • Lernen durch Handeln,
  • Lernen durch Fehlermachen, 4,5faches Lernen
  • Lernen durch Präsentieren, 4faches Lernen
  • Lernen durch Aussprechen des zu Lernenden
  • Partnerarbeit, Teamarbeit,=> Kleingruppenarbeit! Am besten ist zu zweit! Gilt auch für Lehrer! Eine Klasse mit einer Frau und einem Mann als Lehrer! In Klasse 1 decken sie 100% des Lehrstoffs ab in Klasse 5 noch 70% => große Chance, dass die Kinder zu einer von beiden Lehrern eine Bindung aufbaut
  • Lernen durch Rhythmisieren
  • Mindmapping

Piaget: Alles was man beigebracht bekommt hat den Nachteil, dass man nicht mehr selbst drauf kommen kann.

Sprache: jeden Tag 10min lernen, ist am effektivsten

Konsolidierungsprozesse = Hippokampus => Verfestigung des Gelernten nach dem Lernen, dauert beim Menschen eventuell Monate oder Jahre, man weiß es nicht genau!

Diskussion / Fragen:

  • Bis zum 13. Lebensjahr ist es besser, wenn ein Fachfremder unterrichtet
  • In Kanada dürfen Lehrer nur das bis zum 8. Lebensjahr nicht das Lehren, was sie studiert haben,
  • Lehreraufgabe ist eigentlich coachen!
  • Wenn geschlechtergetrennt gelernt wird (Mädcheninternat => die studieren mehr Mathe etc.), Sozialisation: Rollenerwartungen!
  • Wenn unsere Kinder nicht mehr über Lesen lernen können, können die sich kaum mehr über Lesen selbst weiterlernen => nur 10% bleibt hängen. Lesen ist aber Schlüsselqualifikation! Wenn jemand nicht lesen möchte: egal was gelesen wird, lesen ist gut! Comics z.B. => Verknüpfung zwischen Bild und Text. Wenn Schriftsteller in Schulen kommen, wenn es Lesenächte gibt, ältere Kinder den jüngeren was vorlesen, die ganze Nacht, wenn Eltern ganz viel Vorlesen, dann fangen die Kinder auch an zu lesen.
  • Egal welche Methode man beim Lesen und Schreiben lernen sie wählen, es profitieren einige und andere nicht… immer. Die Mehrheit profitiert, eine Minderheit nicht. Das ist immer so. Für das einzelne Kind ist das Schicksal
  • Fernseher beim Lernen im Hintergrund: 1/3 der Kinder profitieren davon! Für 1/3 der Kinder ist es egal. Für 1/3 ist es schlecht. => so ist es bei allem
  • Feminisierung der Pädagogik => die Jungen bleiben auf der Strecke. In den Grundschulklassen fehlen die Männer.
  • Lehrer werden heute bei ihm (Peter Struck) in Erziehungsberatung für Eltern ausgebildet: Hausbesuche und Elternstammtische.

Schule verändert sich nur dann, wenn die Schule sich verändern will, da muss man zuerst die Eltern überzeugen! Der Veränderungswille bei den Lehrern in Deutschland ist sehr gering. Wenn man in einer Klasse etwas verändern will, braucht es mind. 3 Eltern. An einer Schule braucht es mind. 7 Eltern, mehr ist’s besser.

Pro Jahr werden in Deutschland 100 Privatschulen gegründet! Die Eltern sind es, die Veränderungen bewirken können! Die Sonne geht immer von unten auf, nie von oben.

Zunehmend wird er von Großbetrieben etwas getan: BASF, VW etc. => „Wir können mit diesen Schülern nichts mehr anfangen!“ VW in Wolfsburg macht ständig Großveranstaltungen für Schulen! VW hat alle Grundschulen fortgebildet und nun selbst eine neue Schule gegründet: „Wir sind international nur konkurrenzfähig, wenn wir da was tun!“

Es gibt immer mehr Schulen, die werden immer besser und auch mehr Schulen, die nichts verändern. Diese Schulen werden erst etwas verändern, wenn die Not zu groß wird.